(Zwei) Menschen vor Gott - zum elften Sonntag nach Trinitatis

(Zwei) Menschen vor Gott - zum elften Sonntag nach Trinitatis

Liebe Schwestern und Brüder,

eines der großen Themen dieses Sommers – ja, es gab auch noch andere als Corona – war und ist die Debatte um den Rassismus nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch einen Polizisten in den USA.
In den Medien wurde darüber und über die anschließenden Proteste intensiv berichtet und die Tatsache, dass auch in Deutschland immer wieder Menschen wegen ihrer Hautfarbe ausgegrenzt und verachtet werden, trat wieder vermehrt ins öffentliche Bewusstsein.
Ich finde es dabei wichtig, nicht nur auf Fragen zu achten wie die, welcher Begriff auf den Verkaufsverpackungen für Süßigkeiten aus Schaumzucker mit Schokoladenüberzug stehen sollte (auch wenn man die Bedeutung solcher Begriffe, gerade im Zusammenhang des alltäglichen Rassismus, nicht unterschätzen sollte).
Und, so wichtig es ist, sich klar von den rassistischen Äußerungen am äußerst rechten politischen Rand abzugrenzen, so notwendig es ist, deren Parolen klar und deutlich zu widersprechen: auch das allein reicht nicht und dringt auch noch nicht zum Kern des Problems vor.
Denn Vorbehalte und Verachtung, mit denen Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe konfrontiert werden, sind offenbar viel weiter verbreitet, als den meisten klar ist. Und häufig kommen sie eher unterschwellig daher.
Der Fußballer und zwölffache deutsche Nationalspieler Dennis Aogo zum Beispiel, dessen Vater aus Nigeria stammt, hat vor einigen Wochen im Fernsehen sehr eindrücklich und bewegend von seinen Erlebnissen berichtet.
Nur ein Beispiel dabei war, dass ihm, gerade in Spitzenrestaurants, in der Regel ein Tisch am Rand des Gastraums, abseits des Geschehens, zugewiesen wird – und zwar wegen seiner Hautfarbe.
Was der Fußballstar über die Erfahrungen berichtet, die er in der gutsituierten Mitte der Gesellschaft machen musste, macht tief betroffen.
Wer nun aber Gott dafür danken möchte, nicht zu den Rassisten zu gehören, sollte zuvor den Predigttext für den 11. Sonntag nach Trinitatis lesen (Lukas 18, 9-14). Denn dieser Abschnitt zeigt, dass gerade ein solches Dankgebet genau wieder in eine selbstgerechte Überheblichkeit führen könnte, wie sie auch dem Rassismus zugrunde liegt.
Lukas überliefert hier eine Beispielgeschichte.
Wem sie ursprünglich erzählt wurde, wird nicht genau berichtet. Das ist, bereits ganz zu Anfang des Abschnitts, das erste, was daran wichtig ist. Denn es handelt sich hier keineswegs um eine Ungenauigkeit oder ein Versäumnis des Evangelisten.
Die Geschichte richtet sich ganz bewusst nicht an historische Personen, sondern an Menschen, „die überzeugt sind, fromm und gerecht zu sein und die andern verachten.“
Solche Menschen gibt es bis heute. Oder anders ausgedrückt: jede und jeder von uns kann wohl hin und wieder, in bestimmten Situationen, in die Gefahr geraten, zu einem solchen Menschen zu werden. Hochaktuell ist sie also, diese Geschichte.
Sie handelt von zwei konkreten Personen, die zum Tempel gehen, um zu beten. Das ist bis hierhin noch nichts Ungewöhnliches, denn der Tempel gilt für Jüdinnen und Juden als der Ort, an dem man Gott besonders nahekommen kann.
Viele beten deshalb auch heute noch an dem Teil der Westmauer der Tempelanlage in Jerusalem, der nach der Zerstörung des Heiligtums im Jahr 70 n. Chr. erhalten blieb, an der sogenannten Klagemauer.
Die Begriffe, mit denen die beiden Beter bezeichnet werden, sind im Lauf der Auslegungsgeschichte zu Klischees geworden.
Der eine also: ein Pharisäer. Aha. Scheinbar alles klar. Ein superfrommer Heuchler also, oder? Schließlich hat die Bezeichnung „Pharisäer“ als geläufiges Schimpfwort Eingang in die deutsche Sprache gefunden.
Und an der Nordsee ist es der Name für ein Getränk, dessen hochprozentiger Inhalt durch Kaffee getarnt und unter einer Sahnehaube versteckt wird. Erfunden, um heimlich und scheinheilig dem Alkoholgenuss zu frönen.
Aber Vorsicht: die Bedeutung, die die Bezeichnung „Pharisäer“ erhalten hat, ist Ausdruck eines gründlichen Missverständnisses, das seinen Ursprung unter anderem genau in der Karikatur hat, die Lukas mit diesem Abschnitt zeichnet.
In Wirklichkeit waren die Pharisäer eine Gruppe von Menschen, denen es darum ging, alle Gesetze und Gebote Gottes, nicht nur die in den Mosebüchern aufgeschriebenen, sondern auch die mündlich überlieferten, einzuhalten, sie konsequent in ihren Alltag zu übertragen und diesen so zu heiligen.
Es ging ihnen darum, ernst zu machen mit ihrer Gottesbeziehung. Nach der Zerstörung Jerusalems waren es vor allem die Pharisäer, die den Glauben weitertrugen.
In der neuern Forschung gibt es übrigens die These, dass der Jude Jesus der pharisäischen Bewegung nahestand bzw. ein Teil von ihr war. Denn im Unterschied zu anderen Gruppen des damaligen Judentums glaubten die Pharisäer an die Auferstehung der Toten, die in Jesu Botschaft und Werk, und damit in unserem Glauben, eine ganz zentrale Bedeutung hat.
Wir sollten also, um zu verstehen, worum es geht, weniger darauf schauen, dass hier von einem Pharisäer (oder vielmehr einem Zerrbild davon) die Rede ist, sondern eher auf den Inhalt seines Gebets. Wie selbstverständlich nimmt er dafür seinen Raum im Tempel ein; erste Reihe, eh klar. Und was er betet, nimmt auch den größten Raum in der Geschichte ein.
Er weist darauf hin, dass er die Gebote mehr als buchstabengetreu umsetzt. Und es schimmert deutlich durch, dass er dafür Anerkennung zu verdienen meint.
Was sein Gebet so problematisch macht, was es so verkehrt werden lässt, ist die Verachtung für andere Menschen, eine Verachtung, wie sie eben auch an der Wurzel rassistischer Gedanken liegt.
Beim Pharisäer ist es seine Verachtung für die, die seinen Maßstäben nicht gerecht werden, die daran in seinen Augen gescheitert sind, seine Verachtung für die Gestrauchelten, die Randfiguren, die Außenseiter. Ausdrücklich nennt er dabei auch den Zöllner, die andere Hauptperson der Geschichte.
Wenn in der Bibel von einem „Zöllner“ die Rede ist, haben wir auch da ein bestimmtes Bild vor Augen. Er ist ein Kollaborateur mit der Besatzungsmacht. Das Amt, das er von ihr erhalten hat, nutzt er, um seinen Landsleuten das Geld aus der Tasche zu ziehen und sich ungerechtfertigt zu bereichern.
Allerdings berichtet die Bibel auch von Zöllnern wie Zachäus, der von seinem falschen Weg umkehrt, zu Jesus findet und vielleicht mit dazu beigetragen hat, dass Jesus (von seinen Gegnern) „Freund der Zöllner und Sünder“ genannt wurde.
Auch der Zöllner in dieser Geschichte ist auf einem solchen Weg der Umkehr. Er nimmt, im Vergleich zum Pharisäer, nur einen ganz kleinen Raum ein – im Tempel, ganz in der Ecke, und im Text mit seinem Gebet.
Mit der Geste des Schuldbekenntnisses, dem Schlagen an die Brust, und mit gesenkten Augen beschönigt er nichts. Er sieht sich als Sünder und bittet Gott um Gnade. Ein Ausdruck tiefer Demut. Der Zöllner kehrt in der Geschichte gerechtfertigt nach Hause zurück.
Wie sieht es nun mit uns aus? Danken wir nun Gott dafür, dass wir keine Pharisäer sind? Demütig. Dass wir Andere nicht verachten. Dass wir, zum Beispiel, keine Rassisten sind.
Da ist Vorsicht geboten. Denn unversehens kann auch Demut zum Vehikel der Überheblichkeit werden. Scherzhaft wird gerade besonders frommen Christinnen und Christen der Satz in den Mund gelegt: „In Demut macht uns so schnell keiner was vor.“
Ich meine, wir müssen die Geschichte anders verstehen. Denn wir Menschen tragen beides in uns, den Pharisäer und den Zöllner.
Wir tragen den Pharisäer in uns, der sich nach Anerkennung sehnt, der gut dastehen will und sich dafür abmüht, der gleichzeitig sein Licht nicht unter den Scheffel stellt, denn Klappern gehört zum Handwerk, der dabei andere, und sei es unabsichtlich, übersieht, sie nicht gelten lässt, ihnen ihren Platz streitig macht, sie verletzt.
Und wir tragen den Zöllner in uns, der meint, nichts zu melden zu haben, der an sich selbst verzweifelt, dem die Folgen seiner früheren Entscheidungen die Schultern niederdrücken, der sich als Randfigur sieht, an dem das Leben vorbeizieht und gleichzeitig von selbst auf Abstand bleibt.
Dabei haben wir allerdings den Dritten in der Geschichte noch gar nicht erwähnt. Dabei ist er gerade der Wichtigste. Nämlich Gott. Er ist der Gesprächspartner für das Gebet sowohl des Pharisäers, als auch des Zöllners.
Beide wenden sich an ihn, der sich gerecht Wähnende und der Gerechtfertigte. Beide hoffen dabei auf seine Gnade.
Das heißt dann doch: wir können uns an Gott wenden, mit der Pharisäer-Seite und mit der Zöllner-Seite in uns. Er kennt uns, mit beidem. Und er lädt uns ein zum Gebet. Er lädt uns ein, ihm nahezukommen. Wie wir sind. Ohne etwas von uns vor ihm verstecken zu wollen. Er lädt uns ein, uns darauf einzulassen, dass er uns zurechtbringt. Sodass wir nicht verzweifeln müssen, weil er uns einen neuen Weg eröffnet.
Aus reiner Gnade, aus seiner Liebe, die er uns gezeigt hat und schenkt.

Bleiben Sie/bleibt alle von Gott behütet.

Herzliche Grüße,

Ihr/Euer

Martin Bach

PS: Seit dem 10. Mai laden wir in der Friedenskirche wieder ganz herzlich zu unseren regelmäßigen Gottesdiensten ein. Im Rahmen des geltenden Hygieneschutzkonzepts bitten wir alle, die teilnehmen möchten, sich bis jeweils zwei Tage vorher beim Pfarramt unter Tel.: 06332/75125 oder per E-Mail anzumelden.

 

Prot. Pfarramt Zweibrücken-Ixheim
Pfarrer Martin Bach
Kirchbergstraße 31
66482 Zweibrücken
Tel.: 06332/75125

E-Mail: pfarramt.zw.ixheim(at)evkirchepfalz.de