Verbunden bleiben - zum Sonntag Jubilate

Verbunden bleiben - zum Sonntag Jubilate

Liebe Schwestern und Brüder,

die kleine Enkelin, die der Oma per Skype eine gute Nacht wünscht, die Freunde, die in der Einfahrt stehend dem Geburtstagskind in gebührendem Abstand ein Ständchen singen – die Kreativität, die Menschen in den vergangenen Wochen überall in Deutschland und in der ganzen Welt entwickelt haben, um miteinander in Verbindung zu bleiben und diese Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen, ist anrührend.
Ein wenig überraschend ist sie auch. Viele haben wohl gar nicht mehr damit gerechnet, wie hoch der Stellenwert ist, den das Verbundensein mit anderen ganz offenbar hat – in einer Gesellschaft, in der, im Gegensatz dazu, die fortschreitende (oft selbst gewählte) Vereinzelung zahlreichen Sozialwissenschaftlern als der stärkste Trend gilt.
Anrührend also, überraschend und auch, finde ich, irgendwie beruhigend ist es, dass sich die Menschen wohl doch nach einem Miteinander, nach Verbundenheit untereinander sehnen. Und weil das zurzeit eben sozusagen berührungsfrei vonstattengehen muss, entstehen dazu gerade jeden Tag neue Ideen und Formen.
Doch: berührungsfrei, aber nicht kontaktlos – geht das überhaupt so richtig? In den letzten Tagen, mit jeder politischen Entscheidung für Lockerungen, scheint das vielen Menschen zunehmend schwerer zu fallen, scheinen sie die virtuelle Verbundenheit eher als „Verbundenheit light“, als nicht vollwertig zu empfinden. Die Gefahr dabei ist, dass die Bereitschaft zum disziplinierten Einhalten der Corona-Regeln leiden könnte.
Berührungsfrei, aber nicht kontaktlos – das geht, meine ich, durchaus. Allerdings habe ich gemerkt, dass es dafür außer der schon genannten Kreativität auch die Ausdauer und den Willen braucht, kontinuierlich dran zu bleiben.
Mir ist es schon häufiger in meinem Leben passiert, dass ich Menschen kennengelernt habe - zum Beispiel in der Schule, in der Jugendgruppe oder an der Uni – mit denen ich mich gut verstanden habe. Und dann kommt irgendwann der Tag, an dem man sich voneinander verabschiedet. Weil nach dem Abitur oder dem Examen die Klassenkameraden und Kommilitonen in alle Winde zerstreut werden.
Jedes Mal tat es weh, sich von Menschen trennen zu müssen, mit denen ich viel gemeinsam erlebt habe. Und sehr oft fiel der gleiche Satz: „Wir bleiben in Verbindung.“ Ein gegenseitiges Versprechen, das tröstet angesichts des Abschiedsschmerzes.
Mittlerweile habe ich die Erfahrung gemacht, dass das nicht immer so klappte, wie ich es vorhatte, dass – trotz aller analoger (Briefeschreiben geht auch heute noch) und digitaler Möglichkeiten, die es dafür gibt - im Alltag nicht immer genügend Zeit blieb, die Verbundenheit zu pflegen.
Aber da, wo ich mir die Zeit dafür genommen habe und es gelungen ist, mit Menschen eng beieinander zu bleiben, obwohl wir räumlich getrennt sind, da sind tiefe Freundschaften entstanden.
Im Predigttext für den Sonntag Jubilate (Johannes 15, 1-8) sagt auch einer zu seinen Freunden „wir bleiben in Verbindung“. Jesus verspricht das seinen Jüngern, als er sich von ihnen verabschieden muss.
Wie wichtig es ihm ist, dass die Jünger ihm und untereinander trotz der unvermeidlichen Trennung nah und verbunden bleiben, erklärt er mit einem Bild. Und zwar mit einem, das seinen Freundinnen und Freunden wohlvertraut war, einem Vergleich, den schon die Propheten der hebräischen Bibel verwendet haben. Er vergleicht die tiefe Beziehung zwischen Gott und ihm mit der eines Winzers zum Weinstock.  Und die enge Verbundenheit zwischen ihm, Christus, und denen, die sich von ihm die Richtung zeigen lassen wollen, mit dem Weinstock und seinen Reben. Reben, die eine feste und lebendige Verbindung zum Weinstock haben, werden von ihm durchströmt und genährt, können ausschlagen und gute Trauben bringen.
Gut, die Sache selbst – Winzer, Weinstock, Reben - das muss man gerade in der Pfalz jetzt nicht groß erklären.
Doch das Bild macht nachdenklich. Wir Menschen sind nun mal keine an einem tief verwurzelten Stamm verankerten Reben. Schön wär’s. Untrennbar verbunden zu sein mit der Familie, der Partnerin oder dem Partner, den Freunden, der Arbeitsstelle. Aber so fest sind Menschen nicht verwachsen. Das wissen wir nicht erst seit Corona. Zweige können knicken, zerbrechen oder abgeschnitten werden. Eine traurige und beängstigende Vorstellung.
Dagegen stellt Jesus in seiner Abschiedsrede eine unauflösliche Verbindung, die er anbietet. Wenn wir dieses Angebot annehmen, und bei ihm bleiben als die, die ihm vertrauen, dann sind wir verwachsen mit der Kraftquelle, die uns mit der nötigen Energie versorgt, uns aufblühen lässt.
Nun gilt es dabei natürlich eins zu bedenken: wie wir wissen, können wir uns mit Jesus nicht einfach so verabreden, sagen wir mal zum Abendessen, wie mit unserer Familie oder alten Freunden. – Ja, ja, ich weiß: mit den Freunden und der Familie geht das gerade auch nicht so ohne Weiteres. Aber dieser Zustand wird ja wieder enden und nach Corona um sechs sind dann auch alle Verabredungen wieder möglich.
Mit Jesus ist das anders. Aber es gibt doch einige Möglichkeiten, die Verbindung mit ihm zu halten. Berührungsfrei, aber nicht kontaktlos. Erstens ist da nämlich sein Wort, das uns in der Bibel überliefert ist. Manchmal ist es ein kleiner Abschnitt, ein Satz, der uns begleitet und mit uns geht. Einen Tag lang, wie vielleicht die Herrnhuter Losungen oder auch für Jahre, wie zum Beispiel der Konfirmationsspruch. So ein Bibelwort kann zur Kraftquelle werden, die Energie gibt auf den beschwerlichen Abschnitten des Lebenswegs.
Eine andere gute Möglichkeit mit Jesus, dem Weinstock, Verbundenheit zu erfahren, ist die Stille und das Gebet. Vor ihm auszusprechen, was uns bewegt, und auch ihm zu danken für das, was unser Leben reicher macht, kann uns mutig und zuversichtlich werden lassen.
Und noch etwas ganz Wichtiges gehört dazu. Mit dem Bild vom Weinstock und den Reben macht Jesus nicht nur die Verbindung der einzelnen Rebe mit ihm deutlich. Denn die Reben sind durch den Weinstock ebenso untereinander verbunden. So bilden diejenigen, die sich an Christus halten wollen, alle miteinander als Gemeinde, als weltweite Kirche den Leib Christi. Auf diese Weise ist Christus in der Welt präsent. Er existiert, wie Dietrich Bonhoeffer das ausgedrückt hat, als Gemeinde.
Diese Gemeinde übernimmt dann gemeinsam auch Verantwortung, denn die Verbundenheit mit Christus und untereinander ist ja kein Selbstzweck, sondern soll gute Trauben hervorbringen, fruchtbringend sein für die Welt und die Menschen. Da gibt es so einige Aufgaben. Gerade jetzt, wo die Krise die Unterschiede zwischen arm und reich, auch zwischen armen und reichen Ländern, noch viel deutlicher hervortreten lässt, als schon zuvor.
Es liegt also sehr viel daran, dass wir als Christinnen und Christen auf das Verbundenbleiben untereinander gut achtgeben. Und es liegt viel darin. Ein einzigartiges Versprechen, das Jesus uns gibt.
Gerade brauchen wir auch als Gemeinde besondere Kreativität, um unsere Verbindung zu leben. Berührungsfrei aber nicht kontaktlos. Ich bin, wie gesagt, ganz sicher: das geht. Und ich bin gespannt auf die Formen und Möglichkeiten, die wir dazu noch entdecken werden. Es lohnt sich, dranzubleiben.
Ich freue mich besonders, mit dem Weinstock und den Reben, mit Ihnen und Euch allen verbunden zu sein, wenn unsere Vater-Unser-Glocke läutet.
Bleiben Sie/bleibt alle von Gott behütet.

Herzliche Grüße,
Ihr/Euer

Martin Bach