Regeln der Vergebung - zum vierten Sonntag nach Trinitatis

Regeln der Vergebung - zum vierten Sonntag nach Trinitatis

Liebe Schwestern und Brüder,

gerade noch rechtzeitig vor den Sommerferien haben sie nun also geöffnet, die Freibäder in unserer Gegend.
Natürlich mit strengen Regeln, denn wir leben in geregelten Zeiten. Entspannte wären uns wohl lieber, gerade in der Leichtigkeit des Sommers. Aber es geht nun mal in dieser Saison nicht anders, weil wir aufeinander achten wollen.
So wird der Badebetrieb also nach dem Einbahnstraßen-Prinzip organisiert, im Becken gelten Kreisverkehr bzw. Rechtsschwimmgebot, außerhalb des Wassers und des Liegeplatzes heißt es: Mund-Nasen-Schutz aufsetzen, denn nur mit Maske gut betucht ist korrekt gekleidet.
Dass die Badegäste, wie zu lesen war, diese Regeln akzeptieren und sich, ohne größere Diskussionen, bemühen sie umzusetzen, ist, finde ich, erfreulich. Denn im Idealfall würde das ja – philosophisch gedacht – bedeuten, dass sie den Schutz des Lebens und der Gesundheit der anderen als besonders hohen Wert ansehen und deshalb aus Einsicht dafür tun, was erforderlich ist.
Aber auch wenn manche sich vielleicht vor allem deshalb an die Regeln halten, um Ärger zu vermeiden, ist uns wohl allen klar, dass wir Regeln unabdingbar brauchen. Denn ohne sie wäre ein Leben in einer Gemeinschaft nicht möglich.
Liest man allerdings den Predigttext für den vierten Sonntag nach Trinitatis, fragt man sich unwillkürlich: müssen es denn gleich so viele und so schwierige sein?
Der Apostel Paulus hat im 12. Kapitel seines Briefs an die Gemeinde in Rom nämlich jede Menge davon formuliert (Römer 12, 17-21). Dicht gepackt mit Aufforderungen, Anforderungen, Imperativen ist dieser Abschnitt. Einige davon sind berühmt geworden, wurden immer wieder zitiert und als Grundregeln verstanden, in denen sich die Lehre vom guten Handeln der Christinnen und Christen in der Gemeinschaft zusammenfassen lässt: „Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.“
Und der letzte Satz daraus leuchtet offenbar bis heute vielen, gerade jungen Menschen so spontan ein, dass er zu den am häufigsten ausgesuchten Konfirmationssprüchen gehört – zumindest kann ich das im Blick auf die Jugendlichen sagen, die ich bisher konfirmiert habe: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“
Unmittelbar einsichtig also, zugleich aber sehr schwer im alltäglichen Leben umzusetzen wirken diese Regeln.
Das ist Paulus wohl selbst klar gewesen. Deshalb formuliert er sie nicht ohne Einschränkungen:
„Ist‘s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“
Und zwei Mal zitiert er die Heilige Schrift, die hebräische Bibel, um seinen Regeln Autorität und zusätzliches Gewicht zu verleihen.
Dass er die Regeln dennoch so aufschreibt, hat vielleicht auch mit der Gemeinde zu tun, an die er seinen Brief richtet. Die Christinnen und Christen damals in Rom gehörten nicht zu den Großkopferten, die seit Generationen Rang und Namen in der römischen Society hatten. Meist waren es einfache Leute, freigelassene Sklaven etwa, die sich ihre Existenz erst erarbeiten und aufbauen mussten. Zu ihrer Strategie, um das zu erreichen gehörte es vermutlich, möglichst nicht unangenehm aufzufallen.
Insbesondere, weil sie ohnehin schon unter verschärfter staatlicher Beobachtung standen, seit es einige Jahre zuvor Ärger in den Synagogen Roms gegeben hatte. Die jüdischen Gemeinden hatten die Anhänger dieser neumodischen Sekte nicht mehr in ihren Reihen dulden wollen. Der Krach war offenbar bis zu den Ohren der Staatsmacht gedrungen. Kaiser Claudius hatte danach die Jüdinnen und Juden aus Rom ausgewiesen. Die Christen tauchten ab, trafen sich in Hausgemeinden, jeweils in der Privatheit der Räume, die eine oder einer von ihnen dafür zur Verfügung stellte.
Das mit dem konfliktfreien Christsein hatte also nicht so gut geklappt. Und wenn man jetzt noch bedenkt, dass nur ziemlich genau 10 Jahre nachdem Paulus seinen Brief an die
Glaubensgeschwister in Rom abgeschickt hatte, Nero die Christen seiner Hauptstadt jagen, foltern und verbrennen ließ – und dafür sogar von so honorigen Schriftstellern wie Tacitus und Sueton noch Jahrzehnte später gelobt wurde - hat man eine ungefähre Vorstellung von der Lage, in der sich die Adressaten befanden.
Ich kann beinahe hören, wie einige jetzt erleichtert aufatmen, weil sie sich sagen: „Gut, dieses anspruchsvolle paulinische Regelwerk galt für Christen in einer ganz speziellen Situation. Damals hieß es eben: wegducken und bloß keinen Ärger kriegen. Aber das ist lange vorbei und wir müssen das nicht mehr so eng sehen.“
Doch hier muss man sagen: so einfach nonchalant ad acta legen – das geht mit diesen Regeln nicht. Denn sie sind, da haben die Konfis schon recht, von unschätzbarem Wert. Und deshalb behalten sie ihre Bedeutung – über die Zeiten hinweg.
Es sind anstößige Regeln. Wir stoßen uns daran, weil sie scheinbar so wenig zur Wirklichkeit der Welt und der Gesellschaft, in der wir leben, passen. Und gleichzeitig geben sie uns einen Anstoß dazu, es anders zu versuchen und daran mitzuwirken, dass Konflikte immer weniger Gelegenheit bekommen, ihre zerstörerische Seite zu entfalten.
Denn darum geht es ja in diesem Abschnitt aus dem Römerbrief, darin lassen sich all die vielen Imperative zusammenfassen: in der Suche nach einer lebensförderlichen, statt einer lebensfeindlichen Art und Weise, Konflikte zu überwinden. Der Weg dazu: „Vergeltet niemandem Böses mit Bösem, habt – soweit es an euch liegt - mit allen
Menschen Frieden!“
„Klingt schön, aber weltfremd“ – mag mancher dabei denken. Denn was uns die Erfahrung lehrt, ist doch scheinbar eher, dass man mit einer solchen Haltung nicht weiterkommt und dass derjenige, der sich nicht wehrt, untergeht.
Mir fallen da so ein paar Sponti-Sprüche von früher ein, wie: „Wenn der Klügere immer nur nachgibt, ist er am Ende der Dumme.“
Und ein anderer könnte vielleicht einwenden: Damit man die Regeln, die Paulus den Römern übermittelt, wirklich erfolgreich umsetzen kann, müssten alle mitmachen. Tun sie aber nicht.
Wobei Letzteres ja gar nicht von der Hand zu weisen ist. Ich will hier nicht damit anfangen, die vielen bewaffneten Auseinandersetzungen aufzuzählen, die jetzt in diesem Augenblick an den verschiedensten Stellen des Globus geführt werden und die alle darauf hindeuten, dass in der Welt,
wie sie ist, das Vergeltungsprinzip gilt, gerade im Gegensatz zu dem, was Paulus empfiehlt. Es genügt an sich bereits, auf das zu schauen, was uns in unserem Land umgibt, um den Eindruck zu verfestigen, dass die Mehrheitsfähigkeit der paulinischen Regeln fraglich ist.
Im Internet beispielsweise werden ungezügelte Hasstiraden zu einem immer ernsteren Problem. Manchmal auch mit der schrecklichen Folge, dass die Gewalt aus der virtuellen Welt ausbricht und Menschenleben kostet.
Und machen wir noch einen weiteren Schritt, schauen wir auf uns selbst. Auf Gutes bedacht sein gegenüber jedermann und das Böse mit Gutem überwinden - im alltäglichen Miteinander ist das auch für uns eine bleibende Herausforderung – oder vielleicht doch: eine Überforderung?
Im Alltag, da menschelt es halt - auch zwischen Christinnen und Christen - nur zu sehr, da gibt es Eifersüchteleien, Rechthaberei, wenig wohlwollenden Ratsch und Tratsch.
Zorn, Ärger und Wut bestimmen immer wieder unser Zusammenleben. Es gibt so viele Vorurteile und Verletzungen unter uns, so viel Ärger und Zorn, so viel recht haben wollen, so viele Enttäuschungen.
Keiner, der nicht auch Böses in sich selbst kennt. Die Lust, andere fertig machen zu wollen, die Gier, immer bequemer leben zu wollen, der Wille, mit allen Mitteln an die Macht zu kommen.
Wenn die Menschen also nun mal sind wie sie sind, stellt sich jetzt die Frage, wieso ausgerechnet wir als Christinnen und Christen uns der Vergeltungsspirale entgegenstemmen sollten, wo doch offenbar ganz sicher nicht alle anderen mitmachen werden.
An dieser Stelle werden gerne Gandhi (kein Christ, aber Kenner der Bibel) und Martin Luther King als Kronzeugen für einen gewaltlosen Weg des Umgangs mit Konflikten genannt. Es lohnt sich auch zweifellos, sich mit diesen beiden näher zu beschäftigen.
Ich möchte hier aber eher auf das schauen, was Paulus in diesem Abschnitt schreibt. Da gibt es nämlich die zunächst ganz unscheinbare Anrede „meine Lieben“. Das ist merkwürdig. Denn Paulus weiß gar nicht, ob die Römer, an die er schreibt, lieb sind. Er kennt sie nämlich nicht, hat sie nie getroffen.
Des Rätsels Lösung ist: Paulus weiß – auch ohne sie zu kennen -, dass die Menschen, an die er schreibt, Geliebte sind. Von Gott Geliebte.
Wie wir alle. Gott liebt uns, mit unseren strahlenden und dunklen Eigenschaften. Und er lässt Gnade vor Recht ergehen. Er vergibt. Das hat er uns durch seinen Sohn Jesus Christus gezeigt.
Deshalb können wir die Welt und unsere Mitmenschen mit andern Augen sehen und auch anders handeln.
Bei uns Geliebten muss nicht das Recht des Stärkeren gelten und muss auch nicht immer mit gleicher Münze zurückgezahlt werden.
Jesus hat es vorgelebt. Er wandte sich den Menschen liebevoll zu, trotz ihrer Fehler und ihrem Scheitern. Er hat sie nicht schadenfroh vorgeführt, nicht manipuliert oder ausgetrickst, er hat sie ernstgenommen, ihnen zugehört, ihnen weitergeholfen. Er hat sie geliebt. Auch wir sind Geliebte. Weil wir dessen sicher sein können, können wir ja zu uns selbst sagen, mit uns selbst und dann auch mit anderen barmherzig umgehen.
Wir können darauf vertrauen, dass Gott uns unsere Fehler vergibt. Und in diesem Vertrauen können wir es wagen, den Anfang zu machen, ernst zu machen mit den Regeln, die Paulus übermittelt hat. Auch wenn wir wissen, dass noch nicht alle gleich mitmachen.
Wir können damit anfangen, ein Klima zu schaffen, in dem diejenigen, die Böses getan haben, nicht für alle Zeiten darauf festgelegt bleiben. Ein Klima, in dem nicht  egenseitiges Misstrauen, sondern Vertrauen vorherrscht.
Natürlich bleiben auch wir Christen als Menschen widersprüchlich in unserem Denken und Handeln. Rache und Vergeltungsgedanken werden uns weiterhin vertraut bleiben – leider. „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Diese Haltung braucht großen Mut, Stärke und Standfestigkeit. Wir werden immer wieder daran arbeiten müssen.
Die wichtigste Grundlage für diese Bemühung ist, dass Gott uns zuerst geliebt hat. Seine Liebe kann uns die erforderliche Kraft und Ausrichtung schenken.
 

Bleiben Sie/bleibt alle von Gott behütet.

Herzliche Grüße,

Ihr/Euer

Martin Bach

PS: Seit dem 10. Mai laden wir in der Friedenskirche wieder ganz herzlich zu unseren regelmäßigen Gottesdiensten ein. Im Rahmen des geltenden Hygieneschutzkonzepts bitten wir alle, die teilnehmen möchten, sich bis jeweils zwei Tage vorher beim Pfarramt unter Tel.: 06332/75125 oder per E-Mail anzumelden.

 

Prot. Pfarramt Zweibrücken-Ixheim
Pfarrer Martin Bach
Kirchbergstraße 31
66482 Zweibrücken
Tel.: 06332/75125

E-Mail: pfarramt.zw.ixheim(at)evkirchepfalz.de