Predigt zum 3. Ostersonntag

Pfarrer Wolfgang Emanuel: Predigt zum 3. Ostersonntag

Predigt 3. Ostersonntag

Letztes Jahr brannte vor Ostern die Pariser Kathedrale Notre Dame nieder. Dieses Jahr finden in der Fastenzeit in Hunderttausenden von Kirchen vieler Kontinente - und auch in Synagogen und Moscheen - keine Gottesdienste statt. Als Priester und Theologe denke ich über die leeren und geschlossenen Kirchen nach. Ich sehe sie als ein Zeichen Gottes  und als einen Aufruf.
In Momenten der Katastrophe werden die „schlafenden Agenten eines bösen, rachsüchtigen Gottes" lebendig; sie verbreiten Angst und versuchen, religiöses Kapital für sich aus der Situation herauszuschlagen. Ihre Vision von Gott ist schon seit Jahrhunderten Wasser auf die Mühlen des Atheismus.
In Katastrophenzeiten suche ich nicht einen Gott, der wie ein zorniger Regisseur sich hinter die Bühne unserer Welt gesetzt hat, sondern ich nehme ihn als Kraftquelle wahr, die in denen wirkt, die in solchen Situationen eine solidarische und aufopfernde Liebe erweisen - ja auch in denen, die dazu keine „religiöse Motivation" haben. Gott ist eine demütige und diskrete Liebe.
Ich werde jedoch die Frage nicht  los,  ob  die  Zeit der leeren und geschlossenen Kirchen für  die  Kirche nicht einen warnenden Blick durch das  Fernrohr in eine verhältnismäßig nahe Zukunft darstellt: So könnte das in ein paar Jahren in einem Großteil unserer Welt aussehen. Sind wir denn nicht genug gewarnt durch die Entwicklung in vielen Ländern, in denen sich die Kirchen, Klöster und Priesterseminare immer weiter leerten und schlossen? Warum machten wir für diese Entwicklung so lange äußere Einflüsse (,,den Tsunami des Säkularismus") verantwortlich und wollten nicht zur Kenntnis nehmen, dass ein weiteres Kapitel der Geschichte des Christentums zu Ende geht, und es daher notwendig ist, sich auf das nächste vorzubereiten?
Vielleicht zeigt diese Zeit der leeren Kirchen den Kirchen symbolisch ihre verborgene Leere und eine mögliche Zukunft auf, die eintreten könnte, wenn die Kirchen nicht ernsthaft versuchen, der Welt eine ganz andere Gestalt des Christentums zu präsentieren. Zu sehr waren wir darauf bedacht, dass die „Welt“ (d.h. die anderen) umkehren müsste, als dass wir an unsere eigene  „Umkehr"  gedacht  hätten. Vielleicht sollen wir das jetzige Fasten von den Gottesdiensten und vom kirchlichen Betrieb als einen kairos annehmen, als eine Zeit der Gelegenheit zum Innehalten und zu einem gründlichen Nachdenken vor Gott und mit Gott. Ich bin überzeugt, dass die Zeit gekommen ist, in der man überlegen sollte, wie man auf dem Weg der Reform weitergehen will, von deren Notwendigkeit Papst Franziskus spricht: weder Versuche einer Rückkehr in eine Welt, die es nicht mehr gibt, noch ein Sich-Verlassen auf bloße äußere Reformen von Strukturen, sondern eine Wende hin zum Kern des Evangeliums, ein „Weg in die Tiefe".
Ich sehe nur eine Notlösung darin, dass wir uns während des Verbots öffentlicher Gottesdienste mit künstlichen Ersatzmitteln in Form von Fernsehübertragungen von Heiligen Messen behelfen. Eine Wende hin zu einer „virtuellen Frömmigkeit", zum „Mahl aus der Feme“! und das Knien vor dem Bildschirm ist in der Tat eine seltsame Sache. Vielleicht sollen wir eher die Wahrheit des Wortes Jesu erleben: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen." Vergessen wir nicht, dass die Kirche in vielen Gebieten ganze Jahrhunderte ohne Priester überstand.
Kardinal Bergoglio zitierte einen Tag vor seiner Wahl zum Papst eine Aussage aus der Apokalypse: Christus steht an der Tür und klopft an. Er fügte hinzu: Heute klopft jedoch Christus aus dem Inneren der Kirche an und will hinaus gehen. Vielleicht  hat  er das gerade getan.
Wo ist das Galiläa unserer Zeit?
Ich bin davon überzeugt, dass dieses „Galiläa von heute", wohin man gehen soll, um den Gott zu suchen, der durch den Tod hindurch ging, die Welt der Suchenden ist.
Wenn wir als Jünger Jesu dort eintreten wollen, müssen wir zunächst viele Dinge ablegen. Wir müssen unsere bisherigen Vorstellungen von Christus ablegen. Der Auferstandene ist durch die Erfahrung des Todes radikal verändert. Wie wir in den Evangelien lesen, konnten ihn nicht einmal seine Nächsten und Liebsten erkennen. 
„Wir wissen, wo die Kirche ist, aber wir  wissen nicht, wo sie nicht ist", lehrte  der  orthodoxe  Theologe Evdokirnov. Vielleicht sollen die Worte über die Katholizität und den Ökumenismus, die vom letzten Konzil ausgesprochen wurden einen neuen und tieferen Inhalt bekommen: Es ist die Zeit gekommen für einen breiteren und tieferen Ökumenismus, für ein mutigeres „Suchen Gottes in allen Dingen".
Diese Fastenzeit der leeren und schweigenden Kirchen können wir entweder nur als ein kurzes Provisorium annehmen, das wir dann bald vergessen werden. Wir können sie jedoch auch als kairos annehmen - als eine  Zeit  der  Gelegenheit  „in die Tiefen hinabzusteigen" und eine neue  Identität des Christentums in einer Welt zu suchen, die  sich vor unseren Augen radikal verwandelt. Die gegenwärtige Pandemie ist sicher nicht die einzige globale Bedrohung, die unseret Welt begegnet und noch begegnen wird. Noch kann niemand sagen, wohin die Coronakrise unsere Gesellschaft führen wird. Wer die Augen offen hält, nimmt manch Neues wahr, auch viel Gutes, das in Menschen steckt und das wir ihnen nicht zugetraut haben.
Nehmen wir die  österliche  Zeit  als  Aufruf zu einem neuen Suchen von Christus an. Suchen wir nicht den Lebenden unter den Toten.Suchen wir ihn mutig und ausdauernd und lassen wir uns nicht dadurch verwirren, dass er uns wie ein Fremder erscheinen mag. Wir werden ihn erkennen an seinen Wunden, an seiner Stimme, wenn er uns vertraut anspricht, an seinem  Geist,  der  den  Frieden  bringt und die Angst vertreibt.
Jesus lebt in neuer und in anderer Weise, als die Jünger bis dahin gemeint haben, dass er die Menschen erneuern wird. Jesus lebt auch heute in den Menschen und in seiner Kirche. Er kann uns an anderen Orten begegnen, als wir ihn normalerweise gesucht haben. Er wird der Kirche eine neue Gestalt geben, ein Aussehen, das besser unserer Zeit entspricht.  Amen

Pfarrer Wolfgang Emanuel

- es gilt das gesprochene Wort -