Ein Lied von Gottes Gnade - zum dritten Sonntag nach Trinitatis

Ein Lied von Gottes Gnade - zum dritten Sonntag nach Trinitatis

Liebe Schwestern und Brüder,

„… und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.“ So enden – jedenfalls in unserer Vorstellung – für gewöhnlich Märchen. Sozusagen der Prototyp des „Happy Ends.“
Wobei es diesen dem Anschein nach englischen Begriff im Englischen eigentlich gar nicht gibt. Das Verlangen nach dem glücklichen Ausgang einer zuvor verwickelten, vielleicht sogar mit großen Gefahren für die Hauptfiguren verbundenen, Geschichte, das ist aber wohl international. Die Filmindustrie in allen Kontinenten setzt jedenfalls darauf.
Mal ist es ein Liebespaar, das sich nach allerlei Hindernissen am Ende doch noch findet und nach der Hochzeit als letzter Szene wird der Film abgeblendet. Oder – in einem anderen Filmgenre – dem Helden gelingt es in der allerletzten Sekunde die Bombe zu entschärfen, die Katastrophe bleibt aus. Abspann.
Bei genauerem Nachdenken wollte mir übrigens kaum ein wirklich bedeutender Film mit einem völlig ungetrübten Happy End einfallen. Offenbar wird das bei künstlerisch wertvollen Werken für eher unpassend gehalten. Dem Vernehmen nach entscheiden Filmfirmen manchmal erst kurz vor dem Ende der Dreharbeiten, ob der Streifen ein Happy End bekommt oder ein sogenannter „künstlerischer Film“ wird.
Der Habsburger Kaiser Joseph II. hatte da wohl, was die an seinem Burgtheater aufgeführten Inszenierungen angeht, ein anderes Kunstverständnis. Damit das kaiserliche Publikum durch die Vorstellungen keine schlechte Laune bekommt, verfügte er per Dekret, dass dort kein Stück mit einem traurigen Ereignis enden durfte. Mit dem Ergebnis, dass selbst die größten Dramen der Weltliteratur, zum Beispiel Shakespeares „Romeo und Julia“, umgeschrieben und mit einem Happy End versehen werden mussten. In die Theatergeschichte eingegangen ist das unter dem Begriff „Wiener Schluss“.
Irgendwie kann man ihn ja verstehen, diesen Habsburger. Denn ein Happy End, das wünschen wir uns doch im Grunde alle. Nicht nur auf der Bühne und der Leinwand, sondern vor allem im Leben.  Dass die Ehe der Tochter oder des Sohnes den Sturm übersteht. Dass die Operation gelingt, die Chemotherapie anschlägt und die Krankheit nicht mehr zurückkommt.
Ein Happy End als solches ist der Predigttext für den 3. Sonntag nach Trinitatis (Micha 7, 18-20). Es handelt sich dabei um die Schlussverse des Michabuchs. Und was da angekündigt wird, lässt wirklich „happy“, fröhlich und zuversichtlich werden.
„Wo ist solch ein Gott, wie du bist“ – mit diesem staunenden Lob auf den in seiner Güte unvergleichlichen Gott beginnt dieser Abschnitt.
Der Satz spielt unverkennbar auf den Namen des Propheten an, nach dem das Buch benannt wurde. Denn Micha ist eine Kurzform von „Michaja“ und bedeutet, aus dem Hebräischen übersetzt: „wer ist wie JHWH?“
Wir kennen den Namen Micha heute eher als Abkürzung von Michael, was übrigens beinahe das gleiche meint, nämlich „wer ist wie Gott?“
Dieses Lob steht also, könnte man sagen, als Schlussgesang unter dem Michabuch, denn es ist aufgebaut wie ein Lied mit drei Strophen, das an einen Psalm erinnert.
Zuvor im Michabuch ging’s übrigens ganz anders zu. Da wurden ungeschminkt Verfehlungen, vor allem der Reichen und Mächtigen im Israel jener Zeit angeprangert.
Sie raubten die einfachen Leute aus, nähmen ihnen die Existenzgrundlage, rissen sich nach Belieben deren Häuser unter den Nagel. Die Händler würden mit manipulierten Maßen und Gewichten betrügen, die Priester würden sagen, was jenen schmeichelt, die ihnen Geld zukommen ließen. Die Richter seien korrupt, ihre Urteile käuflich.
All diese Untaten erregen Gottes Zorn. Die Schuld und Sünden, die Menschen aus seinem Volk auf sich laden, bringen ihn zu einem wahrhaft vernichtenden Beschluss. Und er beauftragt Micha damit, eine schonungslose Ansage zu machen: Jerusalem wird dem Erdboden gleichgemacht, das Land verwüstet werden. Fremde Herren werden regieren und die Israeliten gefangen nehmen und deportieren.
So kam es dann ja auch.
Noch lange nach Michas Tod scharte sich über Generationen eine Gruppe von Gläubigen um seine Worte. Immer wieder mal fügten sie aktuelle Bezüge ihrer eigenen Zeit in Michas Sinne dem Prophetenbuch hinzu. So wie sie Gottes Botschaft vernahmen und verstanden.
Es kamen auch heilvolle Ankündigungen dazu. Die Fremdherrschaft würde enden. Diejenigen aus dem Volk Israel, die die Katastrophe übriggelassen hatte, würden in ihre Heimat zurückkehren können.
Die Träume und Hoffnungen, die diese Prophezeiungen erweckten, wurden durch die damaligen weltpolitischen Entwicklungen immer mehr zur realistisch erscheinenden Möglichkeit. Denn die Perser unter ihrem König Kyros II. schickten sich an, mit einer Allianz aus weiteren Verbündeten einen Krieg gegen Babylon zu führen. Würde Babylon besiegt, dann wäre für die Israeliten auch die Zeit der babylonischen Gefangenschaft zu Ende.
Zuversicht keimte auf. Und so bekam das Michabuch, lange vor Joseph II., also gewissermaßen seinen „Wiener Schluss“.
Jedoch muss man hier gleich dazusagen: das Erhoffte traf auch ein. Die Israeliten konnten nach Hause zurück. Und diejenigen, die sich über die ganze Zeit von Michas alten Prophezeiungen hatten bewegen lassen, stimmten jenen Lobgesang an, den wir eben gehört haben und den sie dem Prophetenbuch anfügten.
Was ich bemerkenswert finde: es gibt darin keine Misstöne, keinen erhobenen Zeigefinger, keine Mahnung, schon gar keine Häme, kein „ihr habt ja gesehen, wie Gott euch wegen eurer Schweinereien gestraft hat.“
Stattdessen: nur Güte. Gottes Güte. Sie wird uns mit kraftvollen Bildern vor Augen geführt. Er räumt unsere Schuld beiseite, mit seinen Füßen ebnet er ein, womit wir uns von ihm getrennt haben, er versenkt unsere Sünde im Meer, da wo es besonders tief ist.
Am Ende des Michabuchs steht die Botschaft von Gottes Liebe. Diese Liebe hat das letzte Wort.
Das heißt dann allerdings auch, dass wir das, womit wir als Menschheit heute weltweit zu kämpfen haben, nicht einfach Gott zurechnen können, als sei es irgendeine Form von Strafe. Denn Derartiges ist, wie der Schluss des Michabuchs deutlich macht, vorbei. Erledigt.
Wenn das Eis an den Polen schmilzt und Küstenregionen dadurch zu versinken drohen, dann ist das nicht so, weil Gott eine neue Sintflut schickt, sondern weil wir Menschen mit unserer Unersättlichkeit verursachen, dass unsere Erde sich immer stärker erwärmt.
Auch dass wir beispielsweise kaum noch Schmetterlinge beobachten können und unzählige andere Arten verschwinden, geht ausschließlich auf unser menschliches Konto. Und zu welchen Problemen es führt, dass beim Fleisch für viele offenbar nur die Devise „möglichst viel und möglichst billig“ zählt, haben wir gerade gesehen. 
Und noch eine Bemerkung: einen Zusammenhang zwischen mangelndem Glauben und Corona herstellen zu wollen, wie es unsäglicherweise schon zu hören war, und damit anzudeuten, die Pandemie könne als Strafe Gottes verstanden werden, das ist – mit Verlaub – blanker, haarsträubender Unsinn nach mittelalterlichem Denkmuster.
Gott geht es, das zeigt der Schlussgesang des Michabuchs, nicht um Strafe, sondern einzig um Güte. Er liebt uns ohne Wenn und Aber. Und dass er uns das bekannt macht, dass wir das wissen, bedeutet dann zweierlei.
Wem das wirklich klar geworden ist, den kann diese Erkenntnis nicht kalt lassen. Der wird diese Liebe, die sein Leben hell macht, durchscheinen lassen, wo er anderen begegnet, wird sie weitergeben. Er wird sich anderen Menschen zuwenden, die vielleicht einsam sind, zurzeit wohl in erster Linie per Telefon.
Weil er weiß, dass Gott ihm seine Schuld und sein Versagen nicht vorrechnet, sondern ihm vergibt, wird er auch versuchen – selbst wenn’s nicht leicht fällt - den ersten Schritt zu machen, wenn in der Familie oder mit den Nachbarn ein Streit aus dem Weg zu räumen ist.
Und zweitens: wer weiß, dass Gottes Liebe, wie im Michabuch, das letzte Wort hat, der lebt getragen von einer zuversichtlichen Gewissheit: der festen Hoffnung auf ein Happy End.

Bleiben Sie/bleibt alle von Gott behütet.

Herzliche Grüße,

Ihr/Euer

Martin Bach

PS: Seit dem 10. Mai laden wir in der Friedenskirche wieder ganz herzlich zu unseren regelmäßigen Gottesdiensten ein. Im Rahmen des geltenden Hygieneschutzkonzepts bitten wir alle, die teilnehmen möchten, sich bis jeweils zwei Tage vorher beim Pfarramt unter Tel.: 06332/75125 oder per E-Mail anzumelden.

 

Prot. Pfarramt Zweibrücken-Ixheim
Pfarrer Martin Bach
Kirchbergstraße 31
66482 Zweibrücken
Tel.: 06332/75125

E-Mail: pfarramt.zw.ixheim(at)evkirchepfalz.de