Berufungen - zum neunten Sonntag nach Trinitatis

Berufungen - zum neunten Sonntag nach Trinitatis

Liebe Schwestern und Brüder,

es ist schon erstaunlich, wie groß die Zahl derer geworden ist, die offenbar den inneren Antrieb verspüren, Entwicklungen oder Entscheidungen aus den verschiedensten Gebieten öffentlich zu kommentieren.
Gewiss hat das damit zu tun, dass das Internet dafür so viele Möglichkeiten bietet wie nie zuvor. Allerdings findet man Beispiele dafür durchaus auch auf analogen Wegen.
Zu den Themen, die besonders häufig zur Auseinandersetzung herangezogen werden, gehört beispielsweise der Klimawandel, von dem dann gerne mal behauptet wird, er sei eine reine Erfindung von Politikern und Wissenschaftlern.
Die Tatsache, dass zum Beispiel einige Alpengletscher bereits sichtbar tauen und kleiner werden und die Zahl der Hitzetage zunimmt, passt zwar nun nicht ganz in diese Weltsicht, stört die Klimawandelleugner aber offenbar nicht weiter.
Sehr aktuell sind natürlich auch die zurzeit kursierenden Äußerungen zu den Corona-Maßnahmen, die sich bereits mehrfach in großen Demonstrationen, wie etwa vor etwas mehr als einer Woche in Berlin, manifestiert haben. Bei diesem bunt zusammengewürfelten Umzug wurde, unter Missachtung der Abstands- und Hygieneregeln, lautstark und teilweise aggressiv gegen die Entscheidungen der Politik zur Eindämmung der Pandemie protestiert.
Dass gerade zu diesem Zeitpunkt die Infektionszahlen wieder stärker zu steigen begannen, hat die Kundgebungsteilnehmer offenbar nicht irritiert und Passanten, die einen Mund-Nase-Schutz trugen auch nicht vor Pöbeleien aus den Reihen der Demonstranten bewahrt.
Angesichts dieser und weiterer Beispiele scheint es angezeigt, daran zu erinnern, dass nicht jede von Fakten- und Sachkenntnis völlig ungetrübte Meinungsäußerung einen Wert an sich darstellt.
Und dass auch nicht jede aus innerem Antrieb nach außen drängende Stellungnahme ein Anzeichen für eine Berufung ist, auch wenn derjenige, der sie abgibt, sich dazu berufen fühlen mag.
Wie eine Berufung in echtem Sinne aussieht, das beschreibt der Predigttext für den 9. Sonntag nach Trinitatis (Jeremia 1, 4-10) – und auch, welche Folgen sie hat. Aus der Rückschau erzählt der Prophet Jeremia hier den Moment, der sein Leben veränderte und von da an bestimmte.
Die Szene steht am Anfang seines Lebensberichts und der Zusammenstellung der an ihn ergangenen Gottesworte, die der Prophet, nach der Darstellung des Jeremiabuchs (Jeremia 36) dem Schreiber Baruch in die Schriftrolle diktierte.
Und es war wahrlich kein einfaches Leben, dass diese Begebenheit dem Priestersohn aus Anatot, etwa viereinhalb Kilometer nordöstlich von Jerusalem, bescherte.
Das hat auch damit zu tun, dass seine Berufung mit einem epochalen Wendepunkt der Weltgeschichte zusammenfiel.
Das assyrische Reich, das bisher die Fremdherrschaft über Juda ausgeübt hatte, war im Zusammenbruch begriffen. Die Ägypter wären nur zu gern in diese Lücke vorgestoßen, mussten sich aber den Babyloniern unter Nebukadnezar II. geschlagen geben.
In dieser Zeit wurde Jeremia von Gott damit beauftragt, unrechtes und unsoziales Verhalten im Volk Gottes, wie Betrug, Habgier, Ausbeutung und Rechtsbeugung, zu brandmarken.
Er rief seine Landsleute zur Umkehr auf und kündigte widrigenfalls die Verwüstung des Landes durch neue Eroberer an. Er meinte damit wohl die Babylonier.
Dass Jeremia diese Ansagen im Auftrag Gottes machte, bekam ihm nicht gut. Er wurde verspottet, angefeindet, es wurden Intrigen gesponnen und Anschläge gegen ihn geplant.
Nun sitzt er also dem Schreiber Baruch gegenüber und schaut erzählend zurück auf sein Leben. Er beginnt mit dem Erlebnis seiner Berufung. Wohl weil er sich sicher ist, dass es von da aus verstanden werden muss. Dass sich, auch für ihn selbst, die Bruchstücke seines Lebens nur im Licht dieses Ereignisses zusammenfügen und ein Ganzes bilden.
Viele Menschen, vor allem ab der zweiten Lebenshälfte, sind auf der gleichen rückblickenden Suche nach diesem Schlüssel, der ihre je eigene Geschichte erschließt.
Der dänische Theologe Søren Kierkegaard hat dazu den Leitsatz formuliert: „Es ist ganz wahr, was die Philosophie sagt, daß das Leben rückwärts verstanden werden muß. Aber darüber vergißt man den andern Satz, daß vorwärts gelebt werden muß.“(aus: Die Tagebücher. Deutsch von Theodor Haecker. Brenner-Verlag 1923)
Gerade von Menschen aus der Kriegsgeneration kenne ich solche suchenden Erzählungen. Davon, dass in der Notzeit der Familie das Geld für die weiterführende Schule fehlte, Begabungen nicht genutzt, der Traumberuf nicht ergriffen werden konnte.
Vom Arrangieren mit dem dann gelernten Beruf, oder auch mit der wachsenden Zufriedenheit in dieser Tätigkeit.
Vom Glück, eine eigene Familie zu gründen, die Kinder groß zu ziehen.
Auch von Krankheit und Schmerz, Verlust und Trauer.
Und dann wiederum von der Freude, die Enkel zu erleben und zu begleiten.
Der Prophet beginnt seine Erzählung am denkbar frühesten Zeitpunkt. Genauer gesagt ist es in der Szene, die er schildert, Gott, der so weit zurückgreift, als er sich an Jeremia wendet.
Schon vor der Geburt, sogar schon vor der Zeugung, erklärt Gott, habe er Jeremia zum Propheten ausersehen, habe ihm das Prophetenamt, nicht nur für Israel, sondern für die ganze Welt gewissermaßen in die Wiege gelegt.
Das Wunderbare für uns daran ist, finde ich, erst mal die Zuversicht, dass Gott uns schon vor allem Anfang unseres Lebens aufmerksam und liebevoll im Auge hat und auch über unser irdisches Leben hinaus. Und dass er etwas mit uns vorhat. Auch wenn wir das vielleicht erst rückblickend erkennen und verstehen.
Jeremia allerdings scheint das Ungemach, das mit Gottes Auftrag verbunden sein wird, bereits zu wittern. Deshalb will er ihm die Sache eigentlich ausreden.
Sein Gegenargument: du, der Gedanke hat viel Schönes, geht aber leider nicht, denn ich bin zu jung.
Ein netter Versuch. Denn in der damaligen Gesellschaft sah man tatsächlich einen direkten Zusammenhang zwischen Weisheit und Lebensalter und es war durchaus zu erwarten, dass man einem jungen Mann von, wie es der hebräische Ausdruck nahelegt, zwischen 14 und 18 Jahren beim Predigen kaum zuhören würde.
Das Gegenargument „ich bin zu jung“ wird ja heute kaum noch verwendet. Aber die Frage: „Schaffe ich das? Kann ich das?“ stellen sich junge Menschen durchaus auch heute noch, wenn sie sich vor einer herausfordernden Aufgabe sehen.
Gottes Antwort auf Jeremias Einwand scheint zuerst nicht sehr einfühlsam: „Papperlapapp, du gehst, wohin ich dich schicke und predigst, was ich dir auftrage.“
Bei genauerem Nachdenken wird in Gottes Entgegnung aber auch deutlich: Jeremia muss nicht alles selber machen. Er kann sich darauf verlassen, dass Gott ihn an die richtigen Orte führen und ihm die passenden Worte übermitteln wird.
Und das Größte folgt dann noch: Gott sagt Jeremia zu, dass er sich nicht vor den Menschen fürchten muss, „denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der Herr.“
Als bekräftigendes Zeichen streckt Gott seine Hand aus und rührt Jeremia an, berührt seine Lippen, legt ihm so seine Worte in den Mund.
Das mag heute auf den ersten Blick ein wenig merkwürdig anmuten, aber so fremd sind uns solche Gesten im Grunde auch wieder nicht. Bei uns ist es eher die Hand, die auf die Schulter gelegt wird, um vor einer schwierigen Aufgabe zu zeigen: „keine Angst. Du schaffst das. Ich bin bei dir und denke an dich.“
„Ich bin bei dir“, sagt Gott zu Jeremia. Diese Zusage ermutigt ihn dazu, sich seiner Aufgabe, seiner Berufung zu stellen. Gottes Mit-Sein bewahrt Jeremia nicht vor Leiden und Schmerz, aber es gibt ihm die Kraft, in all dem zu bestehen.
Gott ist dabei. Darauf können auch wir uns verlassen. Denn Gott hat jedem und jeder von uns Gaben mitgegeben. Ganz unterschiedliche. Wir können und sollen sie entfalten und einsetzen, um an Gottes versprochener, kommender Welt des Friedens und der Gerechtigkeit zu arbeiten.
Gott hat ein Bild von uns Menschen, ein Bild davon, was in uns steckt. Das heißt nun nicht, dass jeder von uns mit ganz außergewöhnlichen Talenten versehen ist. Und sicher ist auch nicht jeder zum Propheten geboren.
Aber für Christinnen und Christen gibt es jeden Tag Gelegenheiten dazu, der zu werden, der wir in Gottes Augen sind, Möglichkeiten, uns in unserer Aufgabe zu bewähren, Gottes Liebe erfahrbar zu machen.
Das kann im Miteinander in der Familie oder in der Schule sein, im Freundes- und Bekanntenkreis, im Berufs- und Geschäftsleben. Überall kann ich gefragt sein, ob ich dem Bild, das Gott von mir hat, treu bleibe.
Der Maßstab ist dabei nicht, ob ich erfolgreich Jeremia nacheifere oder einem der großen prophetischen Glaubenden jüngerer Tage. Der Maßstab ist, wie wir mit unseren eigenen Fähigkeiten und Talenten umgehen, die Gott uns mitgegeben hat.
Da, wo wir sie im Sinne des Auftrags, den Gott uns damit übertragen hat, einsetzen, haben wir seine Zusage: „ich bin mit dir.“
Jeremias Auftrag macht Gott am Ende der Geschichte noch etwas konkreter. Und das klingt zunächst ziemlich brachial: „ausreißen und einreißen, zerstören und verderben“.'
Wir hören diese Worte in einer Zeit, in der wir, um zum Ausgangspunkt zurückzukehren, manchen Unsicherheiten ausgesetzt sind. Wird die Erde und die Menschheit die Umweltzerstörung überstehen, die wir angerichtet haben oder schaffen wir die Umkehr, um die Erderwärmung zu bremsen?
Wie wird unser Leben mit und nach COVID-19 aussehen? Wird es den Arbeitsplatz auch künftig noch geben?
Hier hilft es, ganz an den Schluss des Textes zu schauen. Die letzten Worte des Auftrags Gottes an Jeremia sind nämlich: „bauen und pflanzen.“ Er sagt Jeremia: es geht weiter.
Gott hat noch viel mit uns vor, in unserem Leben hier auf der Erde und darüber hinaus. Und dafür verspricht er uns:
„Fürchte dich nicht. Ich bin mit dir.“

Bleiben Sie/bleibt alle von Gott behütet.

Herzliche Grüße,

Ihr/Euer

Martin Bach

PS: Seit dem 10. Mai laden wir in der Friedenskirche wieder ganz herzlich zu unseren regelmäßigen Gottesdiensten ein. Im Rahmen des geltenden Hygieneschutzkonzepts bitten wir alle, die teilnehmen möchten, sich bis jeweils zwei Tage vorher beim Pfarramt unter Tel.: 06332/75125 oder per E-Mail anzumelden.

 

Prot. Pfarramt Zweibrücken-Ixheim
Pfarrer Martin Bach
Kirchbergstraße 31
66482 Zweibrücken
Tel.: 06332/75125

E-Mail: pfarramt.zw.ixheim(at)evkirchepfalz.de