Lichtblicke für neue Sichtweisen - zum achten Sonntag nach Trinitatis

Lichtblicke für neue Sichtweisen - zum achten Sonntag nach Trinitatis

Liebe Schwestern und Brüder,

vor einigen Tagen hat der Onlinedienst Instagram einen Beitrag der weltbekannten amerikanischen Popsängerin Madonna gelöscht. Sie hatte nämlich durch eine Reihe recht sonderbar wirkender Behauptungen eine, vorsichtig gesprochen, nicht mehrheitsfähige Sichtweise des aktuellen Stands der Corona-Krise vertreten. Madonna habe, so eine Sprecherin des Dienstanbieters, falsche Behauptungen über Heilungs- und Präventionsmethoden für COVID-19 aufgestellt.
Leider muss man allerdings sagen, dass wohl nicht nur Madonna der rechte Durchblick in Sachen Corona zu fehlen scheint. Jedenfalls drängt sich der Gedanke auf, wenn zum Beispiel, wie neulich geschehen, eine ganze Gruppe von jungen Menschen sich weigert, im Bus einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen und die Fahrt deshalb unterbrochen werden muss.
Außerdem wird gerade wieder heftig gestritten um die richtige Sicht der Dinge. Zum Beispiel über die Frage, ob es gerechtfertigt ist, Reiserückkehrer zu einem Test zu verpflichten.
Um verschiedene Sichtweisen, oder eher: um deren Veränderung, geht es auch im Predigttext für den 8. Sonntag nach Trinitatis (Johannes 9, 1-7). Johannes berichtet dort davon, wie einem Menschen in echtem Sinne die Augen geöffnet werden – und vielen anderen gleich mit. Vielleicht ja auch uns?
Ziemlich beiläufig wirkt die Szene, die Johannes da schildert. Und zwar ganz im wörtlichen Sinne. Jesus läuft an einem blinden Menschen vorbei.
Seine Jünger, die, wie immer in den Schilderungen des Johannesevangeliums, bei Jesus sind, werden auf den Mann aufmerksam. Irgendwie – warum wird nicht verraten – ist den Jüngern klar, dass dieser Mensch bereits blind auf die Welt gekommen ist.
Und die Frage, die sie Jesus stellen, offenbart eine Sichtweise, die leider bis heute scheinbar nicht kleinzukriegen ist. Sie erkundigen sich, was der Mann getan hat – oder vielleicht schon seine Eltern -, um diese Behinderung von Geburt an zu verdienen. Es scheint für sie abgemacht zu sein, dass anders eine solche körperliche Einschränkung nicht zu erklären ist.
Dass der Mann selbst bereits als Baby im Mutterleib eine schwere Sünde beging, ist zwar in den damaligen Vorstellungen nicht ausgeschlossen, aber doch sehr unwahrscheinlich.
Bleibt also nur die Erklärung, dass er für die Sünden der Eltern büßt. Sollte das der Fall sein, wäre auch klar, wessen sich seine Eltern schuldig gemacht hätten. Generationenübergreifende Strafen kommen nämlich laut der hebräischen Bibel vor allem bei Götzendienst, also bei der Verehrung anderer, vermeintlicher Götter statt allein des Gottes Israels, in Betracht.
Sollten Sie jetzt gerade milde lächeln oder gar spöttisch den Kopf schütteln wollen angesichts solcher altertümlicher Vorstellungen, empfehle ich, zunächst selbstkritisch zu prüfen, ob wir da wirklich alle viel ein- und weitsichtiger sind.
Den Satz „kleine Sünden straft der liebe Gott sofort“, habe ich jedenfalls schon recht häufig als scherzhaften Kommentar zu einem Missgeschick gehört. Und dieser Bemerkung liegt exakt das gleiche Denkmuster zugrunde.
Mehr als einmal auch haben mir Menschen, die mit einer schlimmen Krankheit oder einem schweren Schicksalsschlag zu kämpfen hatten, die weit ernster gemeinte Frage gestellt: „Was habe ich getan, dass ich so gestraft werde?“
Und ihre Angehörigen haben versichert: „Das hat er / sie wirklich nicht verdient.“
„Ja wie auch?“ – möchte ich da gerne zurückfragen. Denn eine Krebserkrankung, eine Behinderung, der plötzliche Verlust eines geliebten Menschen – solche Ereignisse gehören nicht zu den Dingen, die in irgendeiner Weise verdient ins Leben einbrechen.
Es ist sicher verständlich, dass wir Menschen verzweifelt nach Erklärungen suchen, wenn uns das Unfassbare trifft. Instinktiv meinen wir wohl, es wäre leichter damit umzugehen, wenn wir nur den Grund dafür kennen würden.
Doch der Gedanke, Gott strafe auf eine solche Weise, ist dennoch völlig verfehlt.
Das gilt übrigens auch ganz entschieden für Corona. Die Aussage, die man sogar schon von Theologen hören konnte, dass COVID-19 Gottes Strafe für die Sünden der Menschen sei, ist genauso abgrundtief falsch wie zynisch.
Jesus hat ganz klargemacht, dass einen solchen Zusammenhang konstruieren zu wollen, Humbug ist. Unter anderem im Predigttext.
Dort verpasst er nämlich als erstes den Jüngern eine Sehhilfe: „weder dieser [blinde Mann] hat gesündigt, noch seine Eltern.“
Es ist wichtig, diesen kurzen Satz wahr- und ernst zu nehmen. Behinderung oder Krankheit haben hier nach Jesu Lehre nichts mit Schuld oder Sünde zu tun. Das ist die erste entscheidende Einsicht, die diese Geschichte vermittelt.
Dann öffnet Jesus dem ursprünglich nur beiläufig Gesehenen die Augen. Mit einem Brei aus Speichel und Erde, den er ihm darauf streicht.
Was heute eher ein wenig abstoßend erscheint, hätten die Ärzte zu Jesu Zeit durchaus für therapeutisch angezeigt gehalten. Denn Speichel galt als heilkräftig bei Augenleiden. Und die Erde in dem Brei erinnert daran, woraus wir geschaffen sind.
Aber dass die Heilung so kurzfristig eintritt, das konnte auch damals nur als ein Wunder verstanden werden. Dem Patienten wird verordnet, sich die Paste im Teich Siloah abzuwaschen. Der Blindgeborene befolgt die Anweisung und erblickt augenblicklich erstmals sozusagen das Licht der Welt. Denn er muss sich wohl wie neu geboren gefühlt haben. Er ist geheilt.
Auch abgesehen von diesem Wunder selbst fällt an dieser Geschichte, finde ich, einiges ins Auge.
Und zwar zuerst mal, dass Jesus scheinbar, hätten seine Jünger nicht gefragt, an dem blinden Mann vorbeigegangen wäre. Das ist doch einigermaßen erstaunlich.
Genauso wie die Tatsache, dass Jesus an dieser Stelle nicht mit dem sehbeeinträchtigten Mann spricht. Das kommt erst am Ende des Kapitels. Hier wird viel über ihn gesprochen, aber nicht mit ihm. Das ist eine Erfahrung, die Menschen mit Beeinträchtigungen bis heute ganz alltäglich machen. Eine schmerzliche Erfahrung.
Der Mann wird auch nicht, wie Jesus es doch bei anderen Heilungen tut, gefragt, ob er überhaupt geheilt werden will.
All das deutet darauf hin, dass die Heilung selbst für den Evangelisten Johannes nicht den Mittelpunkt des Blickfelds bildet. Er will mit seiner Geschichte etwas Anderes vor Augen führen.
Daraus macht Jesus, in den Worten, die Johannes von ihm überliefert, auch gar keinen Hehl: „es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm“ – dem blinden Mann, der geheilt wird.
Und bemerkenswert ist auch der Satz, mit dem Jesus fortfährt: „Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.
Bemerkenswert vor allem, weil hier „wir“ steht. Es geht nicht nur darum, dass Jesus in Gottes Sinn wirkt, sondern „wir“.
Ich sehe in diesem „wir“ Jesus, die Jüngerinnen und Jünger und auch uns eingeschlossen. Wir werden also aufgefordert, im Hören auf Gottes Willen zu handeln. Und zwar ohne jeden Aufschub. Denn, so Jesus, „es kommt die Nacht“, die Dunkelheit, die lichtlose Zeit.
Damit weist Jesus hin auf sein Leiden, seine Passion, die bevorsteht, auf sein Sterben, durch das er nicht mehr in der Welt sein wird.
Durch Jesu Auferstehung, durch Ostern, wissen wir aber, dass Christus, das Licht der Welt, auf neue Weise an unserer Seite ist, um unser Leben hell zu machen.
Dennoch gibt es Passionserfahrungen, Leid, von Menschen überall auf der Erde. Genau dort sind wir gefragt. Und wenn wir auf die Geschichte im Predigttext schauen, erkennen wir auch, in welcher Weise wir gefragt sind.
Wenn wir Leid begegnen, dann sollten wir, das lehrt die Geschichte, keine Zeit verschwenden mit der Frage, wer oder was schuld an diesem Elend ist.
Vielmehr geht es um einen Dreischritt, wie er in der Befreiungstheologie Lateinamerikas bedeutsam geworden ist: sehen – urteilen (im Sinne von beurteilen, nicht von verurteilen) – handeln.
Zuerst ist also das genaue Hinsehen dran, das Wahrnehmen der Not. Dann die Frage, was dagegen getan werden kann. Und schließlich: handeln.
In der Heilungsgeschichte aus dem Johannesevangelium handelt Jesus, indem er Licht in das Leben des blinden Mannes bringt. Licht, das die Dunkelheit vertreibt und eine neue Lebensperspektive eröffnet.
Ein großes Wunder, wie Jesus es bewirkt, wenn er Menschen heilt, werden wir nicht vollbringen können. Leider. Aber vielleicht kleine.
Wenn wir uns einem Menschen zuwenden, der durch eine Krankheit oder eine Behinderung mit Einschränkungen zurechtkommen muss. Wenn er erfährt, dass wir ihn wahrnehmen und respektieren, so wie er ist, dann kann das ein neues Licht werfen auf das, was dunkel und bedrohlich erscheint.
Wenn wir dann einfach helfen ohne zuvor große Fragen aufkommen zu lassen, dann werden strahlende Lichtblicke möglich.
Genauso ist es da, wo wir uns der Freundin zuwenden, der in ihrer Trauer um einen geliebten Menschen alles düster erscheint. Wenn wir sie dann an der Hand nehmen und mit ihr vorsichtige Schritte machen zurück ins Leben, dann kann sich ihr Blickwinkel weiten, über Schmerz und Verlust hinaus.
Und auch da, wo wir sehen, dass Menschen das Nötige zum Leben fehlt und dann handeln, ganz direkt und praktisch, aber auch indem wir sie dabei unterstützen, Möglichkeiten zu entdecken, um wieder Boden unter die Füße zu bekommen, da kann es hell werden.
Dafür, diese Sichtweise einzunehmen, gibt es übrigens einen handfesten Grund. Als Christinnen und Christen vertrauen wir nämlich darauf, dass Jesus, der das Licht der Welt ist, in unser Leben strahlt und an unserer Seite bleibt. Wir sind Kinder des Lichts.
Diese zuversichtliche Gewissheit trägt, wo wir selber Leid erleben und Sorgen. Sie schenkt uns eine andere Perspektive, die uns neue Möglichkeiten eröffnet.
Der Wochenspruch bringt es auf den Punkt: „Lebt als Kinder des Lichts. Die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“

Bleiben Sie/bleibt alle von Gott behütet.

Herzliche Grüße,

Ihr/Euer

Martin Bach

PS: Seit dem 10. Mai laden wir in der Friedenskirche wieder ganz herzlich zu unseren regelmäßigen Gottesdiensten ein. Im Rahmen des geltenden Hygieneschutzkonzepts bitten wir alle, die teilnehmen möchten, sich bis jeweils zwei Tage vorher beim Pfarramt unter Tel.: 06332/75125 oder per E-Mail anzumelden.

 

Prot. Pfarramt Zweibrücken-Ixheim
Pfarrer Martin Bach
Kirchbergstraße 31
66482 Zweibrücken
Tel.: 06332/75125

E-Mail: pfarramt.zw.ixheim(at)evkirchepfalz.de