Gott ist da! - Zum Sonntag Kantate

Gott ist da! - zum Sonntag Kantate

Liebe Schwestern und Brüder,

es ist schön, wenn alle, die zu einem Thema etwas zu sagen haben, wenn alle, die etwas davon verstehen und alle, die Rang, Namen und Verantwortung haben – wenn sie alle mit einer Stimme sprechen. Denn das gibt denen, die diese Stimme hören, Sicherheit. Es gibt Orientierung. Und ja, es beruhigt auch.
Über viele Wochen der Corona-Krise hat sich in Deutschland das vernehmliche Unisono als wertvoller und hilfreicher Ansatz erwiesen. Regierung und Opposition, Bundeskanzlerin, Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, Virologen und Epidemiologen sprachen weitgehend mit einer Stimme. So gleichtönend, dass die Misstöne von Verschwörungstheoretikern und Besserwissern den Chor kaum stören konnten.
Das war, wenn man den bisherigen Verlauf der Pandemie in unserem Land betrachtet, offensichtlich ein erfolgreiches Konzept. Auch wenn manche – bleiben wir bei den musikalischen Bildern – Synkopen, also Holperer, spürbar waren. Zum Beispiel bei der schwierigen Versorgung mit Schutzausrüstung. Dennoch wurden in bewundernswert kurzer Zeit Gesetze und Regelungen verabschiedet, die viele Risiken der Krise abfingen.
Möglicherweise wird das Konzept des Unisono aber gerade zum Opfer seines Erfolgs. Die sinkenden Zahlen an Neuinfektionen, das Ausbleiben der Überlastung unseres Gesundheitssystems - wofür wir Gott danken können - haben Tonlagen und Schwingungen erzeugt, die das Klangbild zurzeit uneinheitlich erscheinen lassen.
Es ist ein vielstimmiger Chor aus voneinander abweichenden Verordnungen der Bundesländer entstanden, ein Stakkato aus Lockerungen. Verständlicherweise haben viele Menschen diese Lockerungen herbeigesehnt. Gerade da, wo Corona-Beschränkungen die nackte wirtschaftliche Existenz bedrohen, wo Selbständige plötzlich keine Einnahmen haben oder wo für Familien das Kurzarbeitergeld kaum zum Leben reicht. Und ja, auch wir freuen uns über manche Lockerungen, freuen uns, dass wir nun wieder gemeinsam Gottesdienst feiern können.
Dennoch hat die jetzige Polyphonie, die derzeit hörbare Vielstimmigkeit etwas verstörende, verunsichernde Folgen.
Welche große Wirkung es dagegen hat, wenn es wie mit einer Stimme tönt, illustriert der Predigttext für den Sonntag Kantate aus dem 2. Buch der Chronik (2. Chron 5, 2-5 ((6-11)) 12-14).
„Kirchweih in Jerusalem“ - so ist man beinahe versucht, diesen Abschnitt zu überschreiben, wenn man ihn liest. Erzählt wird da nämlich von dem glanzvollen Fest, mit dem der von Salomo erbaute Tempel, der erste Jerusalemer Tempel, eingeweiht wurde.
Dieser Festakt hatte unter anderem auch einen beeindruckenden musikalischen Höhepunkt, bei dem ein monumentaler Chor auftrat, begleitet von 120 Trompetern und zahlreichen weiteren Instrumentalisten. Dabei gelang etwas, was jeden Dirigenten in Verzückung geraten lässt: der ganze Klangkörper, alle Sänger und alle Musiker, harmonieren so perfekt miteinander, dass sie wie eine einzige Stimme klingen, eben wie aus einem Munde.
Zwei Dinge berühren mich besonders an dieser Geschichte.
Das erste davon wird offensichtlich, wenn man bedenkt, wann sie aufgeschrieben wurde. Da lag nämlich Salomos Tempelbau bereits so etwa 600 Jahre zurück.
Diesen Tempel gab es schon lange nicht mehr. Nebukadnezar II. hatte ihn zerstören lassen, kurz nachdem er Jerusalem erobert und das Volk Israel in die babylonische Gefangenschaft geführt hatte.
Aber auch das war, als das zweite Buch der Chronik verfasst wurde, längst Geschichte. Mittlerweile war die Gefangenschaft zu Ende. Die Israeliten waren in ihr Land zurückgekehrt und hatten mit dem Wiederaufbau begonnen. Auch ein neuer Tempel stand wieder am alten Platz.
Doch die Krisenzeit, die schon so lange andauerte, war noch nicht vorbei. Viele hatten ihre zerstörten Häuser noch nicht wieder in Stand setzen können. Sie lagen in Trümmern.
Wie auch die hergebrachte Gesellschaftsordnung. Manche hatten ihren ererbten Besitz und ihre soziale Stellung vollständig verloren, andere, die Gewinner der Krise, hatten sich beides unter den Nagel gerissen, einige Emporkömmlinge hatten wohl auch gute Geschäfte gemacht.
In dieser lange währenden, tiefen Krise schreibt der Verfasser der 2. Chronik die uralte Geschichte von dem beeindruckenden Festgottesdienst auf, mit dem seinerzeit der Tempel Salomos geweiht wurde.
Nun könnte man das Ganze einfach gedanklich beiseitelegen, indem man sagt: gut, da erinnert sich einer in schweren Zeiten melancholisch-rührselig zurück an den Glanz vergangener Tage, als König Salomo ein wirtschaftlich starkes Land mit stabilen politischen Verhältnissen und beachtlicher internationaler Bedeutung regierte. Schreibt sozusagen im Tal der Tränen von den guten alten Zeiten. Sowas kennt man – aus allen Weltgegenden und Jahrhunderten.
Aber wer diese Geschichte so einfach abtun will, verpasst das Beste. Nämlich das Zweite der beiden Dinge, die mich daran berühren. Und da geht es um das, was in diesem Abschnitt eigentlich erzählt wird. Der Verfasser ruft nicht einfach nur etwas in Erinnerung, sondern er vergegenwärtigt im wahrsten Sinne des Wortes. Er führt seinen Lesern (uns) die Gegenwart vor Augen. Als Gegenwart in Gottes Gegenwart.
Denn lässt man die detailreichen Schilderungen des festlichen Pomps kurz außer Acht, dann bleibt ein unendlich bedeutenderer Kern, der sich in einem Satz zusammenfassen lässt: „Gott ist da!“
Gott ist da, als sein Tempel eingeweiht wird. Spürbar in einer Wolke, vernehmbar in seinem Wort, das die beiden steinernen Gesetzestafeln repräsentieren, die in der Bundeslade aufbewahrt wurden.
Solange das Volk Israel auf der Wanderschaft gewesen war, hatten sie einen flexiblen gottesdienstlichen Rahmen gehabt, der an jedem Ort eingerichtet werden konnte – so in etwa wie die Online-Gottesdienste in Corona-Zeiten. Damals war es ein Zelt, die Stiftshütte, das der Bundeslade mit den Tafeln, das Gottes Wort, seiner Gegenwart einen mobilen Raum gab.
Als dann die Zeit des Campens endete, wurde jener Tempel errichtet, die Gesetzestafeln zogen dort ein und Gott machte beim Einzug auf seine Gegenwart aufmerksam.
Gott ist da, Gott ist gegenwärtig. In seinem Wort.
Für uns Christinnen und Christen ist, nach dem Johannesevangelium verstanden, Jesus Christus das eine, gültige, unüberbietbare Wort Gottes, gesprochen von ihm selbst.
Gott ist da in Christus. In seinem Leiden, Sterben und Auferstehen ist er da. Für uns da. Und gerade in dieser österlichen Zeit, wo uns die Auferstehung Christi besonders vor Augen ist, lässt er uns auch hoffen, dass er kommt. Und zwar so, dass die ganze Welt von seiner Gegenwart erfüllt und bestimmt ist.
Und noch ein kleiner Blick nach vorn. Ganz am Ende dieses Monats feiern wir Pfingsten. Dieses Fest hat denselben Kern: „Gott ist da!“ – Pfingstlich gesprochen: in seinem Heiligen Geist.
Gott ist da. Verlässlich und treu. »Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig«, heißt es dazu im Predigttext.
Gott ist da. Auch jetzt. Gerade in unseren Sorgen und Ängsten. Gerade auch bei den Leidenden. Das zeigt er dadurch, dass er in seinem Sohn selbst Leiden auf sich nahm.
Gott ist da, gegenwärtig. Jede Gegenwart ist Gottesgegenwart. So wächst aus einer uralten Geschichte brandneue Zuversicht.
Ich freue mich darüber, wieder mit Ihnen und Euch allen in dieser Zuversicht verbunden zu sein, wenn unsere Vater-Unser-Glocke läutet.
Bleiben Sie/bleibt alle von Gott behütet.

Herzliche Grüße,
Ihr/Euer

Martin Bach