Geschwisterliche Liebe - zum siebten Sonntag nach Trinitatis (Kopie 1)

Geschwisterliche Liebe - zum siebten Sonntag nach Trinitatis

Liebe Schwestern und Brüder,

„acht sind geladen, zwölf sind gekommen. Schütt Wasser zur Suppe, heiß alle willkommen.“
Dieses Sprichwort – es soll ursprünglich aus Österreich, aus dem Burgenland, stammen – bringt auf wunderbare Weise eine warmherzige und unkomplizierte Gastfreundschaft zum Ausdruck.
Gleichzeitig ist es eine gute Merkregel für ambitionierte Gastgeberinnen und Gastgeber, die davor bewahrt, angesichts unangemeldeter Gäste unruhig zu werden, ob denn das vorbereitete Essen auch reicht. Es reicht immer.
Bemerkenswert ist, dass das Sprichwort gerade in den Zeiten besonders hoch im Kurs stand, in denen kaum jemandes Tisch üppig gedeckt war.
Aber auch wenn ich wahrlich nicht in Mangelzeiten groß geworden bin, konnte ich der wörtlich-praktischen Umsetzung des Merkspruchs schon beiwohnen (erfahrungsbasierte Anmerkung: es schadet dabei keinesfalls, eine der zusätzlich zugefügten Menge Wassers angemessene Prise Salz beizugeben).
Zurzeit allerdings stellen unangemeldete Überraschungsgäste die Gastgeberinnen und Gastgeber eher vor andere, aktuelle Herausforderungen. Weniger ob genügend Suppe für alle da ist, steht im Vordergrund, sondern ob der Platz ausreicht, um die Abstandsregeln einzuhalten. Unzählige Familienfeste mussten deshalb bedauerlicherweise verschoben oder abgesagt werden. Es bleibt jedoch die tröstliche Hoffnung, dass Corona ein zwar spezielles, aber vorübergehendes Problem ist und ein unbeschwertes Zusammenkommen wieder möglich sein wird.
Über eine solche, von der Pandemie völlig unbehelligte Gastfreundschaft spricht der Predigttext für den siebten Sonntag nach Trinitatis (Hebräer 13, 1-3). Und es werden dort drei Regeln dafür aufgestellt, mit denen das Schlusskapitel des Hebräerbriefs beginnt. In jenem Kapitel verdichtet sich noch einmal, was zuvor in dem Schreiben ausgeführt wird.
Wer den Brief verfasst hat, lässt sich nicht sagen. Ebensowenig, wer die Adressaten sind. Obwohl über beide Fragen viel geforscht und noch mehr spekuliert wurde. Alles deutet darauf hin, dass der Hebräerbrief nicht dazu gedacht war, in einen Umschlag gesteckt und mit einer Briefmarke versehen zu werden.
Vielmehr hat sich der Verfasser der Form des Briefs bedient, um ein Lehrschreiben für die christlichen Gemeinden gegen Ende des 1. Jahrhunderts zu formulieren.
Was man nun als erstes lernt, wenn man die Verse aus dem Hebräerbrief – allerdings auf Griechisch – liest, ist, dass Philadelphia ursprünglich nicht die Markenbezeichnung für ein Milchprodukt ist.
Das Wort kommt auch nicht von der Millionenstadt in Pennsylvania, USA (in die Trump gerade uniformierte Bundespolizisten zu schicken droht) oder der gleichnamigen Stadt in Griechenland und schon gar nicht von dem kleinen Ort (253 Einwohner) namens Philadelphia in Brandenburg.
Der griechische Begriff „Philadelphia“ bedeutet wörtlich „brüderliche Liebe“, wobei die Übersetzung „geschwisterliche Liebe“ das Gemeinte vielleicht sogar eher trifft.
Es geht nämlich um eine besonders enge, tragende Verbindung, wie sie zwischen Geschwistern entsteht, wenn das Zusammenleben in der Herkunftsfamilie gelingt. Da kann es dann geschehen, dass sich Geschwister, auch wenn sie später erwachsen sind und mit ihren eigenen Familien an je unterschiedlichen Orten leben, einander dennoch nie aus dem Blick verlieren, Anteil nehmen am Ergehen der Schwester und des Bruders und füreinander da sind, wenn’s mal eng wird.
Auf ein solches inniges Verbundensein sollen, so der Hebräerbrief, auch die Gemeindeglieder untereinander aus sein. Dass er das einschärft, hat sicher auch damit zu tun, dass in den christlichen Gemeinden seiner Zeit allmählich Unterschiede sichtbar zu werden beginnen.
Dort sind Menschen von verschiedener sozialer Herkunft und Stellung beieinander, die Einen können sich etwas mehr leisten als die Anderen, die Garderobe ist ein bisschen extravaganter, die Wohnung ein wenig repräsentativer. Bei den anderen Gemeindegliedern ist vielleicht alles ein wenig schlichter.
Eigentlich genau wie in einer heutigen Kirchengemeinde.
Gerade angesichts der zutage tretenden Unterschiede schärft der Verfasser des Hebräerbriefs mit seinem Imperativ noch einmal ein: „Bleibt fest in der geschwisterlichen Liebe!“
An diesem Auftrag hat sich übrigens bis heute nichts geändert. Auch heute kommen Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und Stellung in der Gemeinde zusammen.
Und auch wenn ich nicht zu allen Nachbarinnen und Nachbarn in der Kirchenbank täglich die innigsten persönlichen Freundschaften pflege: es ist das gegenseitige Anteilnehmen aneinander, das Achthaben darauf, ob es dem Anderen gutgeht, die Sensibilität dafür, wo meine Begleitung jemandem guttun würde, das solidarische Miteinander, das aus einer Ansammlung von Christinnen und Christen erst eine Gemeinde macht.
Seine Aufforderung zur geschwisterlichen Liebe begründet der Hebräerbrief unmittelbar vor dem Predigtabschnitt (Hebräer 12,28), indem er deutlich macht, dass wir, bei allen Unterschieden, darin geeint bleiben, dass wir alle Empfangende sind. Uns allen schenkt Gott gleichermaßen die Hoffnungsperspektive auf sein Reich. Uns allen gemeinsam ist, dass wir das dankbar annehmen dürfen und so Gott und einander verbunden sind.
Die zweite Regel in diesem Abschnitt des Hebräerbriefs weitet dann den Blickwinkel über die Gemeinde vor Ort hinaus. Sie beginnt mit einem Wort, das ähnlich klingt, aber uns bei weitem nicht so häufig begegnet, wie der Leitbegriff der ersten Regel. Es lautet „Philoxenia“. Was Luther mit seinem berühmt gewordenen Ausdruck „gastfrei sein“ übersetzt, bedeutet wörtlich: „Fremdenliebe“.
Die Christinnen und Christen sollen auch Fremden mit Liebe begegnen und sie freundlich aufnehmen. Das hat für den Verfasser des Hebräerbriefs eine durchaus lebensnahe und gelegentlich lebenswichtige Bedeutung.
Als er diese Zeilen schrieb, waren die Christinnen und Christen eine verschwindende Minderheit. Und eine verfolgte noch dazu. Die Anhänger des Gekreuzigten kratzten nach der Meinung der Mehrheit an der Staatsräson, die forderte, den römischen Kaiser als Gott zu verehren. Das führte dazu, dass besonders in Krisenzeiten die Lage für die Christen schnell heikel werden konnte, weil man dann gerne ihnen die Ursachen dafür in die Schuhe schob.
Wenn nun Christinnen und Christen gezwungen waren, eine Reise auf sich zu nehmen, dann war es wichtig, sich am Reiseziel an Glaubensgeschwister wenden zu können, die eine sichere Unterkunft und liebevolle Aufnahme anboten.
Das Netzwerk der Christinnen und Christen war damals im römischen Reich noch aus ziemlich groben Maschen gewebt. Es gab nicht viele christliche Knotenpunkte. Umso wichtiger waren sie.
Heute bilden die christlichen Gemeinden ein weltumspannendes, ökumenisches (was ursprünglich auch „den Erdkreis umspannend“ bedeutet), in vielen Regionen der Erde dichtes Netzwerk, präsent in den Dörfern und Städten ebenso wie im World Wide Web. Wir haben wie nie zuvor Möglichkeiten, mit Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern und Kirchen in Kontakt zu treten und uns darüber auszutauschen, welche Erfahrungen wir jeweils in unserer Situation mit dem Glauben machen.
Und wir haben einen gemeinsamen Auftrag, denn das Netzwerk kann kein Selbstzweck sein: das Wort Gottes weiterzusagen und für diejenigen da zu sein, die unsere Hilfe brauchen.
Fremde freundlich und liebevoll anzunehmen, sich ihnen mit ehrlichem Interesse zuzuwenden, birgt, nach den Worten des Hebräerbriefs, ungeahnte Chancen. Denn es könnte dazu führen, unwissentlich „Engel zu beherbergen.“
Ein toller Gedanke, der vielleicht von dem inspiriert ist, was Abraham und Sara erlebt haben, als sie drei Männer bewirteten, die unangemeldet an der Tür ihres Zeltes erschienen waren (1. Mose 18). Das damals schon sehr in die Jahre gekommene Ehepaar hörte nämlich dabei die göttliche Botschaft, dass sie einen Sohn haben werden.
Engel sind Boten Gottes. Zu solchen Boten Gottes können Menschen einander dort werden, wo sie aufmerksam zuhören, wenn jemand, der vielleicht aus einem ganz anderen kulturellen Zusammenhang stammt, von dem erzählt, was ihn im Glauben bewegt und ihn trägt.
Die dritte Regel des Predigtabschnitts fordert dazu auf, an die Gefangenen und Misshandelten zu denken. Hier wird noch einmal direkt deutlich, womit Christinnen und Christen zur Zeit des Hebräerbriefs rechnen mussten. Und es wird auch diesbezüglich zur Solidarität aufgefordert.
Gut, dass könnten wir dann wohl zügig zu den Akten legen, denn von uns heute wird ja keiner mehr wegen seines Glaubens gefangen genommen und gefoltert. Oder?
Nun, einerseits gibt es bis heute Christenverfolgung in rund sechzig Ländern der Erde – obwohl erstaunlich wenig davon gesprochen wird.
Und andererseits: leidvolle Erfahrungen können jeden treffen. Einschränkungen durch einen Unfall oder einen Schlaganfall können dazu führen, sich gefangen zu fühlen, weil es dadurch schwierig wird, teilzuhaben an dem, was vorher selbstverständlich war.
Menschen mit einer demenziellen Veränderung wirken oft, als wären sie in einer eigenen Welt gefangen, in der die anderen sie kaum erreichen können.
Mobbing im Betrieb, wenn einer ausgeschlossen, in die Ecke gedrängt und isoliert wird, gehört ebenso zu den besonders schmerzhaften, bedrückenden Erfahrungen.
In solchen Momenten ist, so der Hebräerbrief, unser Mit- und Einfühlen genauso wie unsere Solidarität und Zuwendung gefragt.
Geschwisterliche Liebe, aufgeschlossene Zuwendung zum Fremden, solidarische Begleitung der Leidtragenden – drei Imperative für Christinnen und Christen stellt der Hebräerbrief auf. Und denjenigen, die unangemeldete Gäste an ihre Tafel bitten, zeigt er die großartige Möglichkeit auf, dabei Engeln zu begegnen.
Dafür, dass dem Verfasser des Hebräerbriefs gerade das so wichtig ist, gibt es einen besonderen Grund. Er weiß nämlich, dass wir als Christinnen und Christen selber immer Gäste und letztlich unterwegs sind.
Gegen Ende des Kapitels macht er das noch einmal deutlich mit dem Satz: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“
Ein Übergang sozusagen, in ein Leben aus Glauben.
Nur Mut!

Bleiben Sie/bleibt alle von Gott behütet.

Herzliche Grüße,

Ihr/Euer

Martin Bach

PS: Seit dem 10. Mai laden wir in der Friedenskirche wieder ganz herzlich zu unseren regelmäßigen Gottesdiensten ein. Im Rahmen des geltenden Hygieneschutzkonzepts bitten wir alle, die teilnehmen möchten, sich bis jeweils zwei Tage vorher beim Pfarramt unter Tel.: 06332/75125 oder per E-Mail anzumelden.

 

Prot. Pfarramt Zweibrücken-Ixheim
Pfarrer Martin Bach
Kirchbergstraße 31
66482 Zweibrücken
Tel.: 06332/75125

E-Mail: pfarramt.zw.ixheim(at)evkirchepfalz.de