Ermutigt zum Leben - zum sechsten Sonntag nach Trinitatis

Ermutigt zum Leben - zum sechsten Sonntag nach Trinitatis

Liebe Schwestern und Brüder,

am vergangenen Mittwoch lud Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur digitalen Abschlussfeier ein. Und zwar alle rund 1,9 Millionen Schülerinnen und Schüler, die, in den verschiedenen Schulformen, dem Abschlussjahrgang 2020 angehören.
Die müssen nämlich angesichts der Corona-Krise auf ihre Abschlussfeiern verzichten. Ausgelassene Feste, feierliche Zeugnisübergaben, all das ist in Zeiten von Abstandsregeln und Einschränkungen für größere Veranstaltungen kaum möglich.
Das ist sehr schade, denn in solchen besonderen Übergangsmomenten im Leben ist es wichtig, den bisherigen Weg noch einmal Revue passieren zu lassen, Erfolge gebührend zu feiern und sich auf das einzustimmen, was vor einem liegt.
Üblicherweise werden auch genau zu diesen Themen bei den Abschlussfeiern Reden gehalten, meist vom Schulleiter bzw. der Schulleiterin und oft noch von Schülerinnen und Schülern.
Auf eine lange Rede verzichtete der Bundespräsident zwar, aber dennoch brachte er bei seiner Videobotschaft auf Instagram seine Anerkennung („Nur eins will ich Euch sagen: Ich bin, ganz Deutschland ist stolz auf euch“) und seine guten Wünsche zum Ausdruck. Und auch er richtet in seiner Ansprache den Blick nach vorn, macht den Absolventinnen und Absolventen Mut für die Zukunft („Ich will Euch Mut machen: Euer Wissen, Euer Können, Eure Neugier, Euer Engagement, all das wird gebraucht“).
Virtuell gefeiert wird auf einer eigens dafür eingerichteten Internetseite, an der sich, neben dem Staatsoberhaupt und seiner Frau, mehr als siebzig Prominente aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens beteiligen.  Eine schöne Geste finde ich, die einen positiven Akzent setzen will angesichts des verständlichen Bedauerns darüber, dass die Abschiedsfeiern in der realen Welt in diesem Jahr nicht stattfinden können.
Ein solches Innehalten in einem entscheidenden Übergangsmoment, mit einem Rückblick auf Erreichtes und einem Ausblick auf das, was kommt, ist natürlich nicht nur auf den Schulabschluss beschränkt.
Denn Situationen des Übergangs gibt es immer wieder im Leben. Und es gab sie zu allen Zeiten. Ein Beispiel dafür ist der Predigttext für den sechsten Sonntag nach Trinitatis (5. Mose 7, 6-12).
Der Übergang, der dabei vorbereitet wird, ist übrigens ein ganz realer, nämlich der Übergang über einen Fluss, den Jordan. Die Israeliten, die an seinem Ufer lagerten, stimmt Mose auf das Kommende ein.
In dem Moment, als er diese Sätze spricht, geht eine lange, mühevolle Zeit zu Ende. Vierzig Jahre war das Volk Israel durch die Wüste gewandert, auf dem Weg zu dem von Gott versprochenen Land.
Lange Durststrecken kennen viele in ihrem Leben. Damit meine ich jetzt allerdings nicht die Schulzeit, die die Schülerinnen und Schüler hoffentlich nicht als Wüstenwanderung empfinden. Und ich meine damit auch nicht in erster Linie die Corona-Zeit mit ihren Einschränkungen und Unsicherheiten, die uns offenbar länger vorkommt, als sie bisher eigentlich ist.
Ich denke dabei zum Beispiel an Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, sich beruflich neu orientieren, so manches neu lernen müssen.
Oder an Menschen, die eine seelische Störung durchlaufen und sich neu sortieren müssen. Das braucht Zeit. Und es fühlt sich wohl nicht selten wie Wüste an.
Genauso wüst kann auch eine langwierige Krankheit des Körpers sein. Oder Zeiten der Einsamkeit, der Trauer. Es gibt viele Beispiele für Wüstenwanderungen im Leben, Zeiten mit Zweifeln und Selbstzweifeln.
Für die Israeliten im Moment des Übergangs ist das Ende der Durststrecke zum Greifen nah. Östlich des Toten Meeres, auf dem Gebiet des heutigen Jordanien, hält Mose mit den Israeliten noch einmal inne und er hält eine Rede (eigentlich sind es sogar drei). Er blickt dabei zurück auf die vergangenen vier Jahrzehnte und nach vorn auf die Zukunft im verheißenen Land.
Mose macht den Israeliten in seiner Ansprache nichts vor. Er verschweigt nicht die Konflikte, Auseinandersetzungen und Gefahren, die sie auf der anderen Jordanseite erwarten. Vor allem aber erinnert er an das Gesetz, das Gott seinem Volk bekanntgegeben hat. Mose legt dieses Gesetz noch einmal aus und formuliert damit im Grunde sein Vermächtnis. Denn er selbst wird das Land nicht mehr betreten können.
Vieles von dem, was Mose in seiner Rede anzusagen hat, macht Mut für das Kommende. Der Abschnitt daraus, den wir als Predigttext hören, beginnt mit einer überwältigenden Zusage: Gott hat euch erwählt.
Wie Auserwählte erscheinen uns heute eher die Berühmten und Mächtigen, die Pop-, Sport- und Leinwandstars, die Internetgrößen und die (im besten, aber nicht in jedem Fall, zumindest gewählten) Staatenlenker. Menschen, von denen angenommen wird, dass sie etwas Besonderes geleistet haben.
Gottes Erwählungsgründe sind da allerdings ganz andere. Und sie können alle, die sie hören, davor bewahren, sich für etwas Besseres zu halten.
Er erwählt nämlich gerade nicht aufgrund besonderer Verdienste oder Macht und Einfluss. Er erwählt sein Volk Israel nicht „weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern…“
Das versetzt nun eigentlich all denen einen ordentlichen Dämpfer, die gerade ihr Land oder ihre Nation für besonders großartig halten und die anderen kleinreden und kleinmachen wollen.
Auffällig viele, die so denken, gibt es zurzeit. In den verschiedensten Staaten der Erde. Ein Paradebeispiel dafür ist Trumps Wahlspruch „Make Amrica great again“ – „Amerika wieder groß(artig) machen“.
Anfang Juni ließ er Demonstranten in Washington mit Tränengas vertreiben, um sich ungestört mit einer Bibel in der Hand fotografieren zu lassen. Er kann jedoch – um es vorsichtig zu formulieren – zumindest diesen Abschnitt aus der Bibel nicht gelesen haben. Sonst müsste er wissen, dass es bei Gott auf das „great“ gerade nicht ankommt.
Der Fairness halber muss man allerdings sagen, dass Amerikas Präsident bei weitem nicht das einzige Staatsoberhaupt ist, das sich auf diesem Holzweg befindet und dass gerade Deutschland eine beispiellos unselige Geschichte mit abwegigen Größenwahnvorstellungen hat.
Bei Gott aber gilt: er erwählt gerade das Kleine, das Schwache. „Weil er euch liebte.“
Mose erinnert in diesem sensiblen Moment des Übergangs an Gottes Liebeserklärung an sein Volk. Sie gilt ihnen allen. Bedingungslos. Umfangen von seiner Liebe können sie den nächsten Schritt angehen.
Zur Bekräftigung führt Mose ihnen noch einmal die Liebesbeweise Gottes – eigentlich gehört es sich ja gar nicht, sowas zu fordern – vor Augen.
Er erinnert an den Treuschwur, den Gott gegenüber den Vorfahren geleistet und gehalten hat, an die Befreiung von der Sklaverei in Ägypten, die sichere Führung auf dem langen Wüstenweg.
Sich das ins Gedächtnis zu rufen gibt Kraft für die ersten zaghaften Schritte in ein neues Land, eine neue Zeit.
Für den Übergang von der Schule ins Berufsleben, für den Start in ein neues Leben nach der Therapie oder Operation – vielleicht nicht mit allem bisher Gewohnten, aber nicht zwingend mit weniger Zufriedenheit und Freude.
In ein neues Leben, das auch die Trauer nicht verleugnet, aber dennoch für Hoffnungsvolles offenbleibt. Und es kann auch Mut machen für den Weg durch die Krise.
Eines gilt es nun freilich noch zu bedenken. Die Erwählung, von der Mose spricht, gilt Israel. Sie hat Gott ausgesucht „als sein eigenes Volk.“ Diese Erwählung so einfach für uns in Beschlag nehmen, sie uns aneignen, können wir Christinnen und Christen nicht. 
Die Israeliten stärkt die Erfahrung, dass Gott sie von der ägyptischen Knute befreit hat. Und die Botschaft, dass Gott ihnen mit seiner Liebe nahe ist und sie begleitet, ermutigt sie für den Übergang in ihr neues, ihnen von Gott gezeigtes Land.
Dennoch: als Christinnen und Christen leben auch wir aus der Gewissheit, dass Gott uns mit seiner Liebe nahekommt. Bedingungslos. In Jesus Christus.
Und auch diese Nähe- und Liebeserfahrung befreit. Nämlich von dem, womit wir schuldig geworden sind. 
Wir werden dadurch frei zu einer vertrauensvollen Verbindung mit ihm und zu der Erkenntnis, dass seine Gebote lebensförderliche Regeln für das Zusammensein in der Gemeinschaft sind.
Mose wird in seiner Rede ziemlich deutlich, wenn es darum geht zu beschreiben, was denen blüht, die Gottes Gebote und Gesetze nicht halten. Auch wenn das in dieser Härte verstört: einfach verschweigen oder aus Moses Ansprache streichen kann man diese Sätze nicht.
Aber sich einmal mehr an das erinnern, was Christus gesagt und gezeigt hat. Nämlich, dass für den, der umkehrt vom falschen Weg, der sich in Gottes Nähe einladen lässt, ein neuer Anfang möglich wird.
Ein Übergang sozusagen, in ein Leben aus Glauben.
Nur Mut!

Bleiben Sie/bleibt alle von Gott behütet.

Herzliche Grüße,

Ihr/Euer

Martin Bach

PS: Seit dem 10. Mai laden wir in der Friedenskirche wieder ganz herzlich zu unseren regelmäßigen Gottesdiensten ein. Im Rahmen des geltenden Hygieneschutzkonzepts bitten wir alle, die teilnehmen möchten, sich bis jeweils zwei Tage vorher beim Pfarramt unter Tel.: 06332/75125 oder per E-Mail anzumelden.

 

Prot. Pfarramt Zweibrücken-Ixheim
Pfarrer Martin Bach
Kirchbergstraße 31
66482 Zweibrücken
Tel.: 06332/75125

E-Mail: pfarramt.zw.ixheim(at)evkirchepfalz.de