Liebe Schwestern und Brüder,
mittlerweile kann man ja in den Supermärkten schon längst wieder alles kaufen, was man braucht (oder auch nicht braucht). Also zumindest fast alles. Bei Roggenmehl und Trockenhefe bestehen offenbar noch leichte Lieferengpässe…
Die Zeit der Hamsterkäufe jedenfalls ist wieder vorbei. Sie hat aber sicher noch ihre Nachwirkungen. In manchen Haushalten werden wohl bis reichlich in den Herbst hinein vorwiegend Nudelgerichte und Dosensuppen serviert werden, um die Vorräte abzubauen.
Dabei ist eine gewisse Vorratshaltung an sich durchaus vernünftig, wird den Privathaushalten sogar staatlicherseits empfohlen – schon lange vor Corona.
Außerdem hält die Bundesrepublik selbst laufend die zivile Notfallreserve und die Bundesreserve Getreide bereit, die Schweiz schreibt dort ansässigen Firmen für bestimmte Waren die Einrichtung eines Pflichtlagers vor, um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Die Kosten dafür werden durch eine Umlage auf die Preise der Waren aufgeschlagen.
Vorbild für all das ist – da bin ich sicher – Jakobs Sohn Joseph, der laut dem Bericht des ersten Buchs Mose dem Pharao mit einem ähnlichen Vorschlag dazu verhalf, die Ägypter über die sieben mageren Jahre zu bringen.
An etwa eine solche Zeitspanne muss wohl auch der Eine oder die Andere beim Einkauf Mitte März gedacht haben. Diesen Anschein erweckten jedenfalls die brechend vollen Einkaufswagen, die sie vor sich herschoben und die Taschen, unter deren Gewicht ächzend sie schwer gebeugt den Heimweg antraten.
Beladen wie sie waren wirkte die Schlepperei reichlich mühselig. Mir kam die schwere Last der Einkaufstaschen beim Hamsterkauf vor wie ein Symbol für die Ängste und Sorgen, die viele Menschen schwer belasten.
Apropos „mühselig und beladen“ – wenn diese Worte Ihnen bekannt erscheinen, Sie aber gerade nicht so genau wissen, woher, dann hilft ein Blick auf den Predigttext für den zweiten Sonntag nach Trinitatis (Matthäus 11, 25-30) dabei, Ihr Gedächtnis aufzufrischen.
Dort sagt Jesus – nach der Überlieferung des Matthäusevangeliums: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ Unter dem Titel: „der Heilandsruf“ ist dieser Satz berühmt geworden.
In meiner persönlichen, nicht repräsentativen, unmaßgeblichen Statistik von als Inschrift über Kirchentüren angebrachten Bibelversen steht dieser Satz auf Platz eins. Unangefochten. Ich kenne ihn aus eigener Anschauung, je nach Reiseland, in deutscher, französischer, italienischer, englischer und lateinischer Sprache. Darüber wurde oft ein Bild oder ein Relief von Christus mit ausgebreiteten Armen angebracht – Christus, der zu sich einlädt.
Wer diese Darstellungen und Inschriften über den Portalen nun einfach als kirchliches Marketing unter Hinweis auf das wichtigste Alleinstellungsmerkmal oder als Frühform des Werbeplakats für den Gottesdienstbesuch abtun will, der denkt zu kurz.
Obwohl die Sätze des Predigttexts ganz sicher werbenden Charakter haben. In manchen theologischen Büchern über das Matthäusevangelium wird der Abschnitt deshalb auch „Werberede Jesu“ genannt.
Genau betrachtet kommt die jetzt an dieser Stelle gerade recht. Denn in den Versen unmittelbar zuvor hatte Jesus den galiläischen Städten im Gegensatz dazu gründlich die Leviten gelesen. Die Menschen dort verglich er dabei, angesichts dessen, wie sie auf seine Botschaft reagiert hatten, mit Kindern, die nicht mitspielen wollen.
Nach diesem seinem markigen Weheruf sind versöhnlich werbende Töne sicher nicht unangebracht. So schließt sich dem Weheruf kontrastierend der Heilandsruf an.
Um Werbung also geht es in gewisser Weise hier wohl auch. Aber das ist längst nicht alles und bei weitem nicht das Wichtigste daran.
Denn diese Sätze tragen jede Menge guter Botschaft in sich.
Die erste davon ist: man muss nicht besonders klug oder weise sein, um zu erkennen, wer Jesus für uns ist. Akademische Weihen, selbst – ich wage es kaum zu sagen – theologische, sind dafür nicht erforderlich. Helle Köpfe sind hier ausnahmsweise mal nicht von vornherein im Vorteil. Denn es geht dabei nicht um etwas besonders kompliziert Verwickeltes, sondern um etwas ganz Lebenspraktisches.
Die zweite der guten Botschaften: es gibt einen Weg, etwas von Gott zu erfahren und davon, was er für mein Leben will. Und den Wegweiser dazu stellt er auch gleich auf: es ist Christus selbst. Wer auf ihn schaut, darauf, was er in der Begegnung mit Menschen vorgelebt hat, wer auf das hört, was er uns zu sagen hat, kann Spuren von Gottes Wollen und Wirken für uns erkennen.
Mancher hat schon versucht, eine Abkürzung auf diesem Erkenntnisweg zu nehmen, sie in kruden Welterklärungstheorien gesucht, in irgendwelchen, angeblich geheimen, seltsamen Riten oder Praktiken oder gar unter Zuhilfenahme fragwürdiger Substanzen. Die vermeintlichen Abkürzungen erweisen sich allerdings samt und sonders als Sackgassen.
Wer diesen Abschnitt aus dem Matthäusevangelium gelesen hat, kann auf sowas auch eigentlich gar nicht kommen. Denn daraus wird klar: es gibt einen Weg, etwas von Gott zu erfahren. Allerdings nur einen einzigen. Nämlich Christus.
Die dritte der guten Botschaften liegt dann in Christi Einladung, in seinen geöffneten Armen: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid.“
Das beladen sein beschreibt Jesus im darauf folgenden Vers mit dem Bild des Jochs. Mir steht dabei ein Tragjoch vor Augen, also eine zugerichtete Stange, meistens aus Holz, die auf den Nacken gelegt wird. An ihren Enden werden mit Seilen oder Ketten zwei – möglichst gleich schwere – Lasten befestigt.
Man kennt diese Konstruktionen heute vorwiegend von Fotos aus Asien. Aber auch in Deutschland gibt es bis in unsere Tage noch eine Verwendung dafür, nämlich im Asphaltbau, zum Transport von Gussasphalt zu schwer zugänglichen Stellen. Dann wiegt das Ganze zwischen 50 und 60 Kilo. Und die liegen auf dem Nacken auf.
Man braucht keine allzu lebhafte Phantasie, um nachzufühlen, wie mühselig das ist, wie schwer eine solche Last dort drückt, aber auch auf die Wirbelsäule, die Beine, die Füße.
Nun arbeitet sicher nicht jeder von uns im Asphaltbau und selbst dort gehört das Tragjoch nicht mehr zu den alltäglich genutzten Werkzeugen. Aber Lasten, die täglich niederdrücken, die den Nacken beugen, kennen viele. Und nicht nur in Corona-Zeiten.
Zu den Mühseligen und Beladenen gehören vielleicht Menschen, die nach vielen gemeinsamen Jahren den Ehepartner verloren haben, sich einsam fühlen, die Kinder wohnen weit weg, sind selbst eingespannt in ihre beruflichen und familiären Pflichten.
Oder vielleicht die Alleinerziehende, der das Geld am Monatsende nicht reicht, um ihren Kindern das zu ermöglichen, was sie ihnen so sehr gönnen würde und die das schmerzt, genauso wie das Gefühl, nicht genügend Zeit für ihre Kinder zu haben angesichts der Anforderungen, die ihr Arbeitgeber an sie stellt.
Mühselig und beladen fühlt sich vielleicht auch derjenige, der in diesen Wochen mit mulmigem Gefühl in die Zukunft schaut, weil er nicht weiß, ob sein Arbeitsplatz einem weiteren Shutdown standhalten würde.
Und wir alle haben bestimmt auch noch weitere Menschen vor Augen.
Den Mühseligen und Beladenen sagt Jesus bei seiner Einladung – nach den Worten der Lutherübersetzung – zu: „ich will euch erquicken.“ Da denkt man unwillkürlich an ein kühles Getränk nach einem heißen, anstrengenden Tag. An sich schon nicht schlecht.
Aber ich meine, dieses etwas altertümliche Wort „erquicken“ führt nicht ganz auf die richtige Fährte. Das Verb, das im griechischen Text steht, meint genau genommen etwas Anderes. Vom gleichen Wortstamm kommt unser deutsches Wort „Pause“ (für Kenner des Griechischen: κἀγὼ ἀναπαύσω ὑμᾶς.) Wörtlich ins Deutsche übersetzt müsste es also heißen: „ich werde euch ausruhen lassen“ oder „ich werde euch Ruhe verschaffen.“
Die englischen, französischen und italienischen Übersetzungen sind da übrigens viel näher dran.
Eine Pause, richtig genutzt, kann mehr bewirken als einen kurzen Moment, in dem die Last zur Seite gelegt werden kann.
Wenn ich zur Ruhe komme, wirklich Ruhe finde für meine Seele, wie es gegen Ende des Predigtabschnitts heißt, kann ich neue Kraft schöpfen.
Die Last verschwindet dann zwar nicht einfach. Aber ich erkenne dadurch vielleicht, was es im Gegensatz dazu an Gutem und Hoffnungsvollem gibt, das mein Leben bereichert. Und ich kann neu darüber nachdenken, welchen Stellenwert ich dem Bedrückenden in meinem Leben einräume, wie ich damit umgehen kann, damit es, in des Wortes wahrer Bedeutung, er-träglich wird.
Dafür, dass Christus solche Pausen schaffen kann, die einen neuen Umgang ermöglichen mit dem, was uns belastet, gibt es zwei Gründe.
Erstens, weil Christi Einladung nicht nur an Gäste in Partylaune geht. Zu ihm können wir kommen mit allem, was auf unseren Nacken drückt und auf unserer Seele liegt. Er heißt uns willkommen.
Zweitens: dieser Gastgeber weiß sehr gut, wie Lasten drücken. Er hat ja selbst so eine schwere Holzkonstruktion auf seinem Nacken getragen und auf einen Berg geschleppt. Sein Kreuz.
Wenn er uns in eine vertrauensvolle Beziehung zu sich einlädt, dann nicht als einer, der neue Höchstleistungen von uns fordert oder uns niedermachen oder verspotten will, sondern als einer, der vorbehaltlos für uns da ist, der uns verlässlich nahe ist und uns neue Kraft schenkt, ins Leben zu treten.
Seine liebevolle Begleitung zeigt sich darin, dass er uns, wenn wir uns darauf einlassen, bei ihm zur Ruhe zu kommen, ein anderes Joch anbietet, um damit unsere Lasten zu bewältigen, ein sanftes Joch, wie er am Ende des Predigttexts verspricht.
Eines, dass uns nicht niederdrückt, sondern dessen beide Seiten rechts und links an unseren Schultern vielleicht sogar, wie Bernhard von Clairvaux es einmal über das Kreuz Christi gesagt hat, zu Flügeln werden.
Bleiben Sie/bleibt alle von Gott behütet.
Herzliche Grüße,
Ihr/Euer
Martin Bach
PS: Seit dem 10. Mai laden wir in der Friedenskirche wieder ganz herzlich zu unseren regelmäßigen Gottesdiensten ein. Im Rahmen des geltenden Hygieneschutzkonzepts bitten wir alle, die teilnehmen möchten, sich bis jeweils zwei Tage vorher beim Pfarramt unter Tel.: 06332/75125 oder per E-Mail anzumelden.
Prot. Pfarramt Zweibrücken-Ixheim
Pfarrer Martin Bach
Kirchbergstraße 31
66482 Zweibrücken
Tel.: 06332/75125
E-Mail: pfarramt.zw.ixheim(at)evkirchepfalz.de