Liebe Damen und Herren,
schon vor mehr als zwei Wochen hat eine besonders berührende und Mut machende, neue musikalische Gattung, von Italien ausgehend, Deutschland erreicht: die Balkonkonzerte.
Die Wahl des bei uns dabei am häufigsten gespielten Lieds, „Freude, schöner Götterfunken“, ist sicher kein Zufall. Einerseits mag zur Entscheidung für dieses Stück beigetragen haben, dass sich der Geburtstag seines Komponisten, Ludwig van Beethoven (4. Satz seiner 9. Symphonie), 2020 zum 250. Mal jährt. Auch wenn das „Beethovenjahr“ es gerade, wie vieles andere, schwer hat, ins öffentliche Bewusstsein durchzudringen.
Wichtiger noch als das Geburtstagsjubiläum ist für die Auswahl sicher die Bekanntheit und die Bedeutung, die die „Ode an die Freude“, unter anderem seit 1985 die offizielle Hymne der Europäischen Union, im Laufe der Zeit immer wieder erhalten hat.
Der entscheidende Grund dafür, warum gerade dieses Lied von den Balkonen zu hören ist, liegt aber gewiss in seinem überwältigend schönen Klang, mit dem Beethoven ein ebenso schönes, bewegendes Gedicht Schillers vertont hat. Verse, die eine Gesellschaft vor Augen malen, in der die Menschen durch Freude und Freundschaft verbunden sind. Darin sah Schiller übrigens einen Hinweis auf einen väterlich liebenden Gott („Brüder – überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen“).
Die Balkonmusiker setzen also mit der „Ode an die Freude“ ein klingendes Zeichen der Verbundenheit trotz körperlicher Distanz. Gleichzeitig wollen sie ihren Zuhörerinnen und Zuhörern eine Freude machen in einer in mancherlei Hinsicht freudlosen Zeit. Wie viele Menschen in diesen Tagen bin ich den Musikerinnen und Musikern sehr dankbar dafür, dass Sie einfach anderen einen schönen Moment schenken.
Wie es, liebe Schwestern und Brüder,
jene Frau getan hat, von der der Predigttext dieser Woche erzählt (ich füge ihn wieder als .pdf bei). In dieser spannungsgeladenen Szene sitzt Jesus mit einigen anderen am Tisch seines Gastgebers Simon (der – nebenbei bemerkt – an einer ansteckenden Hautkrankheit gelitten hatte) in Betanien. Eine Frau tritt in das Esszimmer, geht auf Jesus zu und öffnet ein kostbares Fläschchen aus Alabaster. Im gleichen Moment ist der ganze Raum erfüllt von einem betörenden, schweren Duft. Die Begleiter Jesu erschnuppern sofort, was in der Phiole drin ist.
Als die Frau den Inhalt des Fläschchens über Jesu Kopf träufelt, regen die sich mächtig auf. Denn das darin aufbewahrte Öl ist mit der äußerst seltenen Narde zubereitet, einer Duft- und Heilpflanze, die nur im Himalaya vorkommt. Sündteuer, so könnte man beinahe sagen, ist dieses Öl. Der Inhalt des Gefäßes kostet so viel, wie ein Arbeiter durchschnittlich im Jahr verdient. Und so wittern die moralisierend aufrechnenden Begleiter Jesu, als ihnen der Duft des Öls in die Nase steigt, gleich eine sündhafte Verschwendung.
Wie viel Gutes, so führen sie detailliert aus, hätte man mit dem Gegenwert des Öls bewirken können, wenn man es verkauft und das Geld an die Armen verteilt hätte.
Solche Rechenkünstler gibt’s übrigens auch heute noch. „Was hätte man nicht alles mit dem vielen Geld anfangen können, das für … rausgeschmissen wurde.“ – Dieser Satz wird häufig gesagt; nur was statt „…“ eingesetzt wird, ändert sich situationsbezogen. Es ist allerdings kein Wunder, dass die Sentenz so beliebt ist, denn sie ist im wahrsten Sinne des Wortes wohlfeil. Sie kostet ihren Sprecher nichts.
Wie viele von denen, die in den letzten 2000 Jahren eine solche Rechnung aufgemacht haben, dann auch wirklich etwas getan haben, um einer Misere entgegen zu wirken - womöglich gar unter Einsatz ihres eigenen Geldes – hat noch keiner ausgerechnet.
„Und ihr so? Was tut ihr für die Armen?“ – Mit dieser einfachen Frage hätte die Frau die Kritiker wohl entwaffnen können. Tut sie aber nicht.
Es ist Jesus, der ihnen antwortet. Und bei dieser Antwort müssen wir die Lutherübersetzung, nach der Jesus sagt, die Frau „hat ein gutes Werk an mir getan“, ein wenig zurechtrücken. Denn was im griechischen Original steht (kalon ergon), bedeutet eigentlich zunächst „sie hat ein schönes Werk an mir getan.“
„Gut und schön“, denken Sie jetzt vielleicht, „aber was soll die Wortklauberei.“
Nun, ich meine, dass das einen entscheidenden Unterschied macht, und dass Jesus in seiner Antwort gerade auf diesen Unterschied hinweist. Er lässt es nicht gelten, (moralisch) Gutes gegen Schönes aufzurechnen. Er hält das duftende Luxusprodukt auf seiner Stirn nicht für rausgeschmissenes Geld, sondern für einen schönen Augenblick von eigenem Wert.
Deshalb duckt er sich auch nicht weg, als die duftenden Tropfen ihn erreichen. Er lässt das Schöne zu. Auch und gerade in einem bedrückend traurigen, scheinbar freudlosen Zusammenhang. Dem seines bevorstehenden Leidens und Sterbens, auf das er seine moralisch entrüsteten Begleiter hinweist und an das wir in der morgen beginnenden Karwoche besonders denken.
Das will ich mir aus der Geschichte von der Salbung in Betanien zu Herzen nehmen: offen zu bleiben für die schönen Momente, auch mitten in der Krise. Für die Momente, die hinweisen auf den liebenden Vater („Brüder – überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen“ – siehe oben), für die Augenblicke, die Gottes Gnade sichtbar, hörbar, fühlbar werden lassen.
Offen will ich bleiben für die Zeichen des Lebens, die der Frühling mit Wachsen und Blühen unverkennbar setzt, für den Gesang der Vögel, die gerade die ums Pfarrhaus verteilten Häuschen bezogen haben.
Offen will ich bleiben für die zahlreichen Momente, in denen Menschen auf ganz verschiedene, kreative Arten zeigen, dass sie aneinander denken und sich verbunden fühlen.
Die Augen will ich dafür offenhalten. Und auch die Ohren – besonders für Balkonkonzerte.
Apropos: ich könnte mir vorstellen, dass uns in dieser Hinsicht an den Ostertagen das ein oder andere zu Ohren kommen wird. Halten wir also Fenster, Ohren und Herzen geöffnet.
Ich freue mich darüber, wieder mit Ihnen und Euch allen im Gebet verbunden zu sein, wenn morgen um 10.30 Uhr unsere Vater Unser – Glocke läutet.
Auch an den Wochentagen werden weiterhin unsere Glocken läuten: von Montag bis Freitag täglich um 19.30 Uhr und an den Samstagen zu den ökumenischen Online-Andachten um 18 Uhr.
Bleiben Sie alle gesund.
Bleiben Sie alle von Gott behütet und gesegnet.
Herzliche Grüße,
Ihr
Martin Bach
Prot. Pfarramt Zweibrücken-Ixheim
Pfarrer Martin Bach
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E-Mail: pfarramt.zw.ixheim(at)evkirchepfalz.de