Liebe Schwestern und Brüder,
wem vertrauen wir, wenn’s – salopp gesprochen - eng wird? Also, wenn wir eine Situation als bedrohlich empfinden und Entscheidungen, unter Umständen auch schmerzliche, getroffen werden müssen.
Für mich könnte ich die Frage so beantworten: Derjenige, dem ich in einer kritischen Lage vertraue, muss drei Voraussetzungen erfüllen.
Er muss wissen, was er sagt und tut, also – soweit ich das beurteilen kann – etwas von der Sache, um die es geht verstehen.
Ich muss sicher sein, dass er mit offenen Karten spielt, also nicht verdeckt eigene Interessen verfolgt, die mir schaden könnten. Und ich muss überzeugt davon sein, dass er es gut mit mir und allen Betroffenen meint.
Zurzeit stellen sich immer wieder Vertrauensfragen. Und die Antworten sind zum Teil überraschend.
In der vergangenen Woche beispielsweise wurde auf den Titelseiten einiger Zeitungen über eine in Griechenland durchgeführte Umfrage zur Corona-Krise berichtet.
Ein renommiertes Meinungsforschungsinstitut aus Athen habe dabei herausgefunden, dass seit dem Beginn der Pandemie das Vertrauen der Griechen in ihren Staat und seine Institutionen gestärkt geworden sei.
Die griechischen Bürger seien davon überzeugt, dass die Regierung den richtigen Fachleuten zuhöre und wirksame Maßnahmen gegen die Pandemie ergriffen habe.
Das ist insofern ein erstaunlicher Befund, als Vertrauen in die Regierung bisher – denken wir beispielsweise an die Euro-Krise – eher nicht als ein herausragendes Merkmal der dortigen politischen Landschaft beschrieben wurde.
Nicht überraschend, aber durchaus bemerkenswert ist, dass laut dieser Meinungsumfrage die Zuversicht der Griechen messbar (um 10 Prozentpunkte) zugenommen hat.
Vertrauen schafft Zuversicht.
Um Vertrauen geht es auch im Predigttext für den Sonntag Rogate (Matthäus 6, 5-15). Obwohl das Wort darin gar nicht vorkommt. Dafür ist aber der, von dem da die Rede ist, in einer Weise vertrauenswürdig, wie wir es von Menschen niemals erwarten können.
Es handelt sich um einen vertrauten Text, einen der vertrautesten der Bibel. Das Vater Unser. Ich bin ganz sicher, dass die meisten von Ihnen diese Worte auswendig können.
Das Vater Unser ist das bekannteste Gebet der Christen. Das liegt allein schon daran, dass Jesus selbst damit seine Jünger das Beten lehrt.
Spätestens im Religionsunterricht der Grundschule wird es besprochen und gelernt. Wir beten es in jedem Gottesdienst, die Glocken läuten dazu, um darauf aufmerksam zu machen, dass es gerade gesprochen wird und um öffentlich zum Mitbeten einzuladen.
Obwohl, andererseits: dieser öffentliche Hinweis scheint zu den Regeln, die Jesus im Predigtabschnitt für das Beten formuliert eigentlich gar nicht zu passen.
„Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu“, hatte er seinen Jüngern gesagt.
In den Wochen des „Corona-Lockdowns“, der verschlossenen Türen sozusagen, als wir nicht gemeinsam in unserer Kirche Gottesdienst feiern konnten, haben wir das so gehalten. Wir haben zuhause gebetet, in unseren Kämmerlein, am Schreib- oder Küchentisch, im Wohnzimmer.
Das tut gut und ist sehr wertvoll. Und das bleibt es auch weiterhin.
Wenn wir uns nun darüber freuen, dass wir - in der Ixheimer Friedenskirche seit dem vergangenen Sonntag – wieder regelmäßig zusammenkommen können, verstoßen wir damit allerdings nicht gegen Jesu Regel vom Beten hinter verschlossener Tür.
Denn damit wollte er nicht die gottesdienstliche Gebetsgemeinschaft abschaffen.
Das war für ihn ein aus der Synagoge selbstverständlich vertrauter Teil des Glaubenslebens.
Wogegen er sich wendet, ist religiöse Prahlerei. Die kommt übrigens auch heute noch vor. Und da sollte man sehr kritisch hinhören.
Gemeinschaft zu haben, gehört jedoch zu unserem Glauben dazu, lässt uns in Gegenwart der Schwestern und Brüder die Gegenwart Gottes auf besondere Weise wahrnehmen.
Was viele in den vergangenen Wochen allerdings stärker als zuvor erfahren haben, ist, dass eine solche Gemeinschaft auch virtuell, am Bildschirm, im Internet, beim gemeinsamen Hören auf die Glocken und Lesen aus der Bibel möglich ist. Auch wenn der ein oder andere von uns da wohl das Beherrschen der Technik noch ein bisschen wird üben müssen.
Müssen wir vielleicht gar das Beten grundsätzlich neu üben? Wie so vieles andere in diesen Zeiten, wie Mundschutztragen im Supermarkt, Begrüßung ohne Handschlag oder Abstand in der Warteschlange.
„Not lehrt beten“, heißt es ja. Das könnte ja dann bedeuten: Corona lehrt auf ganz andere Weise beten, weil die Welt, die wir ins Gebet nehmen, eben dadurch anders geworden ist.
Ich möchte es lieber so verstehen: Jesus lehrt beten. Lange vor, während und nach Corona. Und zwar mit dem Vater Unser.
Gerade weil uns aber dieses Gebet so vertraut ist, fällt uns das entscheidend Neue daran kaum noch auf. Es steht gleich am Anfang: „Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt.“
Darin steckt ein unerhörter, bis Jesus es aussprach nie zuvor gehörter Kontrast. Gott, der Heilige selbst, dem wir Menschen nur ehrfurchtsvoll gegenüberstehen, dem wir uns aus eigener Kraft gar nicht nähern können, ist unser liebender Vater.
Gott kommt uns von sich aus nahe, überbrückt die Distanz zwischen ihm und uns. Er hält keinen Abstand zu uns. Selbst und gerade in Zeiten von Corona.
Ich habe da eine Erscheinung. Also eigentlich ist es mehr eine Alterserscheinung, aus der deutlich wird, welcher Generation ich angehöre.
Ich sehe vor meinem geistigen Auge eine beige-grau gebundene Broschüre im Schulheftformat, aus der wir im Konfirmandenunterricht gelernt haben. Auf der Titelseite: „Der kleine Katechismus Dr. Martin Luthers“.
Und darin unter der Überschrift „Das dritte Hauptstück“:
„Vater unser im Himmel. Was ist das?
Gott will uns damit locken, dass wir glauben sollen, er sei unser rechter Vater und wir seine rechten Kinder, damit wir getrost und mit aller Zuversicht ihn bitten sollen wie die lieben Kinder ihren lieben Vater.“
„Gott will uns… locken, dass wir glauben…“. „Glauben“ heißt vertrauen. Und dann bedeutet dieser Satz: Gott wirbt um unser Vertrauen.
Womit wir beim Thema vom Anfang wären.
Wenn Jesus uns mit dem Vater Unser das Beten lehrt, dann bringt er uns dadurch auch Vertrauen bei. Das beginnt damit – erinnern wir uns an die drei Dinge, die es braucht, um zu vertrauen -, dass Jesus klarmacht: Gott weiß genau, was los ist. „Euer Vater weiß, was ihr bedürft“ – sagt Christus. Er kennt eure Sorgen und Ängste. Er weiß, wie unsicher die Pandemie macht – und manches andere im Leben.
Wie ein liebender Vater ist er. Er handelt - die zweite Vertrauensgrundlage - nicht aus Eigennutz, wie Menschen es manchmal tun. Im Gegenteil: er macht sich verwundbar bis zum Kreuz. Für euch.
Und – die dritte Voraussetzung für Vertrauen – als liebender Vater meint er es gut mit euch.
Liebe Schwestern und Brüder,
die Corona-Pandemie betrifft Menschen auf der ganzen Welt. Das Vater Unser verbindet Menschen auf der ganzen Welt. Wo es, in unzählige Sprachen übersetzt, gesprochen wird, stärkt es das Vertrauen auf Gott, der uns nahe sein will.
Aus Vertrauen wächst Zuversicht.
Ich freue mich darüber, wieder mit Ihnen und Euch allen verbunden zu sein, wenn unsere Vater Unser-Glocke läutet – und mit den Christinnen und Christen, die es auf der ganzen Welt beten.
Bleiben Sie/bleibt alle von Gott behütet.
Herzliche Grüße,
Ihr/Euer
Martin Bach